Stop.mobb.handicap



Mobbingberatung für Menschen mit Behinderungen

Unter dieser Rubrik finden Betroffene und Beratende ausschließlich Informationen zum Thema "Behinderung und Mobbing am Arbeitsplatz". Meine Ausarbeitungen zu "Behinderung und Mobbing in der Schule" können Interessierte unter:

Opfer bringen nicht falsch verstehen und

Aus Integrationsfehlern lernen

nachlesen.

Ich unterstütze die Beratung für Menschen mit Behinderungen in Mobbingsituationen. Das Projekt "stop.mobb.handicap" will authentisch aufklären und Kompetenzen vernetzen. In meiner Funktion als Inklusionsbotschafterin der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) suche ich KooperationspartnerInnen, die dazu schon gearbeitet haben, Publikationen zu diesem Schwerpunkt empfehlen oder zu bestehenden Initiativen weiter vermitteln können. Die Dokumentation von Mobbingfällen ist zur Aufdeckung von Missständen zwingend notwendig. Deshalb müssen Betroffene zu Wort kommen. Offene oder geschlossene Vorträge biete ich auf Anfrage im Raum Halle/Leipzig an. Ich zeige in meinen Veranstaltungen und im Folgenden ausschließlich Beispiele auf, die ich in Rücksprache mit den Betroffenen und in deren Interesse dokumentierte.

Informations- und Arbeitsmaterial zum "Mobbing-out!": Präsentation als PDF und Präsentation als Powerpoint

Eine barriereärmere Lesefassung im docx kann gern direkt bei mir angefordert werden: jsonntag@blindverstehen.de

Audiobeitrag aus dem Magazin "Sichtweisen" (Forum), Märzausgabe 2018

Die Gesichter des Mobbings

Mobbing ist nicht immer offensichtlich und deshalb auch so schwer zu greifen. Es liegt jedoch nicht nur dann vor, wenn eine behinderte Mitarbeiterin oder ein behinderter Mitarbeiter ganz direkt aufgrund ihrer/seiner Behinderung verbal oder non verbal angegriffen wird. Das Geschehen vollzieht sich bei Behinderung häufig subtil durch Abhängigkeitsverhältnisse, Ausnutzung und emotionale Erpressung, Übergangenwerden im Team, Mehrleistung, um etwas wert zu sein oder im Umkehrschluss durch Kleinmacherei und durch die aufgenötigte Opferrolle.

Oft agieren Betroffene überangepasst, um über die Behinderung hinaus nicht "negativ" aufzufallen, und haben weniger Mut, Missstände und Grenzen zu thematisieren. Trauen sie sich doch, werden ihnen "zur Strafe" möglicherweise zukünftig notwendige Handreichungen verwehrt, die sie zuvor durch eine nun "beleidigte" Bezugsperson erfahren haben. Besonders in kleinen Teams sind Betroffene in dieser speziellen Notlage "aufgeschmissen". Nicht selten spielen auch Missgunst und Neid enger KollegInnen oder Vorgesetzter eine Rolle, da Menschen mit Behinderungen vielleicht etwas Besonderes erreicht haben, hoch oder gering qualifiziert sind oder den Arbeitsplatz aufgrund ihrer Behinderung bekommen haben.

Hinzuweisen ist auch auf Mobbingsituationen, die von "Menschen mit Lernschwierigkeiten" beschrieben werden. Die Betroffenen arbeiten in Integrationsbetrieben und werden dann auch den dem übergreifenden Betriebsnetzwerk zugehörigen BeraterInnen zugeordnet. Das ist problematisch, da diese BeraterInnen:

  1. in beruflichen Beziehungen zum Arbeitgeber der Mobbing-Betroffenen stehen und
  2. die Situation gerne auch zum Großteil mit der Behinderung des Geistes/der Psyche verknüpfen, das heißt, dass die Glaubwürdigkeit der Betroffenen relativiert wird.

Vielen Dank an die Inklusionsbotschafterin Esther Schmidt für diese Ergänzung.

Manchmal dient das behinderte "Maskottchen" sogar Firmen dazu, unter falscher Flagge große Summen an Förder- oder Projektgeldern abzugreifen, wobei die/der Betroffene nach Zweckerfüllung dann betrieblich gnadenlos "hinten runter fällt". Auch die Versäumnisse anderer werden gern hinter dem Rücken oder vor versammelter Mannschaft der behinderten Mitarbeiterin/dem behinderten Mitarbeiter untergeschoben, da das der einfachste Weg ist.

Durch Sinnes- oder Mobilitätseinschränkungen sind Betroffene häufig weniger gut in der Lage, spontan auf Situationen Einfluss zu nehmen, die ihnen schaden. Oft sind sie nicht so beweglich und dadurch an einen bestimmten Arbeitsort gebunden, während die mobbende Person sich im gesamten Gelände frei beweglich äußern und Wirklichkeiten schaffen kann. Mobilitätseinschränkungen können auch dazu führen, dass eine gemobbte Person eine Konfliktsituation nicht selbstständig verlassen kann und sich in einer angespannten Lage permanent räumlich gefangen sieht. Bei vorliegender Sinnesbehinderung kann die/der Gehandicapte oft nicht einschätzen, wie Worte oder Gesten anderer sich tatsächlich zutragen und die/der Mobbende hat in der Hand, wie sie/er Informationen an die/den Gehandicapten weitergibt. Somit können zum Nachteil der/des Beeinträchtigten vollkommen verfälschte Bilder entstehen und das manchmal über viele Jahre.

Der Weg aus dem Mobbing

In pathologischen Systemen, in denen innerhalb der Belegschaft viel Angst, Konkurrenzdruck und Unzufriedenheit herrschen, hilft oft das Gespräch mit dem Betriebsrat oder dem Disability Management nicht im ersten Schritt, da Betriebsklima oft Chefsache ist und sich destruktive Strukturen, die bereits von der Leitungsebene ungünstig gesteuert werden, schwer auflösen lassen. Der Mensch mit Behinderung ist dann oft das schwächste Glied und hat nicht die Stärke, diese Konflikte selbstbestimmt zu kommunizieren, auszutragen oder zu puffern. Unlösbare Spannungen und negative Dynamiken erzeugen dann oft zur eigentlichen Behinderung noch zusätzliche gesundheitliche Beschwerden und eine vormals positiv bewältigte Behinderung kann plötzlich zum Problem werden. Manchmal droht der Rückfall in eine frühere Phase der Behinderungsverarbeitung und die eigenen Kräfte und Potenziale leiden. Das kann letztlich zum Verlust des Arbeitsplatzes führen.

Auch wenn es schwer fällt, sollte die/der Gemobbte zunächst immer das Gespräch mit der Mobberin/dem Mobber suchen. Wenn dies nicht funktioniert, ist die/der Vorgesetzte die nächste Instanz, es sei denn von dort aus wird gemobbt, dann ist der Betriebsrat die zuständige Stelle. Gewerkschaftlich organisierte MitarbeiterInnen können sich auch an ihre Gewerkschaft wenden, die betroffenen Mitgliedern einen kostenlosen Rechtsbeistand bereitstellt. Menschen mit Behinderungen können unabhängig davon oder zusätzlich auch (bei Vorhandensein) das Disability Management des Hauses einschalten oder die/den Schwerbehindertenbeauftragten konsultieren. Manchmal können angeleitete Mediationsgespräche helfen, einen Konflikt zu beseitigen, es ist aber auch möglich, dass dadurch noch mehr Missverständnisse entstehen und Fronten sich verhärten.

Sollte es innerbetrieblich zu keiner Entspannung der Situation kommen, ist das Aufsuchen einer Beratungsstelle (auch des zuständigen Integrationsamtes und Integrationsfachdienstes) oder sogar das Einschalten einer Anwältin/eines Anwalts ratsam. Ein aufreibendes Gerichtsverfahren, welches sich im schlimmsten Fall über Jahre ziehen kann, ist jedoch nicht immer empfehlenswert. Es kann sein, dass ein Mensch mit Behinderung besonders an seinem Arbeitsplatz festhält, da ein Arbeitgeberwechsel behinderungsbedingt für ihn weniger leicht zu stemmen ist oder er aufgrund seiner Einschränkungen schwerer eine neue Arbeit finden kann. Außerdem ist der Inhalt der eigentlichen Tätigkeit für die gemobbte Person oft sehr erfüllend und bereichernder Lebensinhalt. Aus diesen Gründen ertragen Betroffene ihre Probleme oft weit über akzeptable Leidensgrenzen hinaus und halten viel aus.

Ein Mobbingtagebuch, die Dokumentation von Arztbesuchen und Medikamenten, die das Mobbing zur Folge hatten, sind wichtige Nachweise. Zwischenmenschliche Belastungen am Arbeitsplatz können sich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch auswirken. Eine professionelle psychotherapeutische Begleitung ist empfehlenswert, um gemeinsam zu schauen, wie eigene Anteile die Mobbingsituation begünstigen, welche Verantwortung bei der Mobberin/dem Mobber und welche in der Leitungsebene liegt. Wenn das Arbeiten am eigenen Selbstwertgefühl und der Selbstbehauptung zu keiner Verbesserung der Situation führt, ist es sinnvoll, über ein Leben ohne den belastenden Arbeitsplatz nachzudenken und zu entdecken, was außerhalb des Tunnels alles möglich ist.

Mit dem Projekt "stop.mobb.handicap" möchte ich das Thema "Menschen mit Behinderungen in Mobbingsituationen" transparent machen und durch meinen Internetauftritt Aufklärung und Navigationshilfe sein. Allgemeine Beratungsstellen sind häufig verständlicherweise mit den spezifischen Sorgen und Nöten von Menschen mit Behinderungen nicht vertraut, aber sehr offen. Ich sehe mich deshalb auch als Beraterin für Beratende. Wir wollen gemeinsam verantwortungsvoll im Sinne der Betroffenen die Tabuschublade öffnen. Unser Anliegen benötigt eine Lobby, Akteure auf diesem Gebiet sind jedoch rar. Durch meine Öffentlichkeitsarbeit möchte ich Netzwerke und Schnittstellen schaffen.

Ich freue mich über Zuarbeit und weiterführende Informationen, um gemeinsam für Menschen mit Behinderungen in Mobbingsituationen mehr erreichen und zukünftig gezielter agieren zu können. Kooperierende Beratungsstellen nehme ich gern in mein Handbuch auf.

Ihre/eure Jennifer Sonntag jsonntag@blindverstehen.de

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