Nachdem ich mein Informationsmaterial zum Thema "Behinderung und Mobbing am Arbeitsplatz" veröffentlicht hatte, erhielt ich zahlreiche Rückmeldungen von Betroffenen, die Mobbing an Schulen erlebten oder gerade erleben. Sogar ganze Tagebücher und kommentierte Zeichnungen erreichten mich. Nun hatte ich mich von Anfang an bewusst dagegen entschieden, den sensiblen Schwerpunkt "Schule und Mobbing" innerhalb meiner Initiative "stop.mobb.handicap" zu bearbeiten, da ich ahnte, dass sich da ein ganzes Thementor öffnen würde, für das mir die Kapazitäten fehlen. Wo also bei einem so ernstzunehmenden Problem ansetzen?
Ich selbst war ein schulisches "Integrationsexperiment" und bin in ein System hineingepuzzelt worden, was dafür einfach nicht bereit war. Hinzu kam, dass mein Alter sich dafür als denkbar ungünstig erwies. Ich war ein Teenager mit dicken Brillengläsern, die "Halbblinde", die man verlachte, mit ekligen Dingen bewarf und der man absichtlich Stolperfallen in den Weg stellte. Dabei hatte ich mich so gefreut, war eine der wenigen die aus der Glasglocke raus durfte und Lehrer und Eltern hatten das gut überlegt. Und nun nur Probleme, die für ein Kind peinlich und überdimensional scheinen. Ich sah das Tafelbild nicht, konnte mit dem Sehrest nur holpernd laut vorlesen und kriegte wegen der Sprüche der anderen irgendwann ohnehin gar kein Wort mehr raus. Ich traute mich nicht ins Gebäude hinein, selbst die Fünftklässler stellten sich mir in den Weg und ließen mich die Treppen hoch- und runterstolpern, sodass ich die Orientierung verlor. Oft fand ich meinen Rucksack und die Räume nicht, war ungeschickt, unbeholfen, ich wollte, aber ich konnte nicht dazu gehören. Meine ohnehin geschädigten Augen waren ständig überlastet. Bekam ich für Klassenarbeiten länger Zeit, steigerte das nicht gerade den Beliebtheitsgrad und Behindertenthemen im Unterricht erzeugten kein Verständnis dem komischen Mädchen gegenüber. Ich fuhr nicht mit zur Klassenfahrt, saß so oft draußen auf der Bank und hatte schlimme Gedanken, während die anderen drinnen lernten und Spaß hatten. Ich wollte keinen enttäuschen, nicht die Integrationslehrer, nicht meine Eltern, alle die an das Experiment geglaubt hatten. Mit den Einsernoten gings runter auf Vier, ich musste zurück in die Sonderschule, Triumph für die, die mich in der "Normalschule" scheitern sahen. Der zweite Versuch klappte besser, Fachgymnasium Sozialwesen, die Sozis mobbten nicht, ich glänzte wieder im Klassendurchschnitt. Inzwischen war ich Punkerin geworden und meine bunten Jungs machten mich stark gegen die Welt. Bei den Punks hatte jeder irgendeinen "Sprung in der Schüssel" und jeder hatte irgendetwas zu verlieren, ich eben mein Augenlicht. Meine Clique, ein ganz schön rüder Haufen, hatte mich stark gegen die gemacht, die mich bespuckt und beschmiert hatten. In meinem Buch "Märchenland im Müll" beschrieb ich später unter dem Pseudonym Constance S. diese für mich sehr zerrissene Zeit in zerrissenen Klamotten, zwischen Erblindungsangst und Anarchie.
Ich fühle mich heute SchülerInnen sehr nahe, die glauben zu scheitern, weil eigentlich die anderen scheitern, weil sie "noch" nicht bereit sind für das, was Inklusion wirklich ist. Es geht nicht darum, dass jeder Mal gehänselt wird, das verträgt ein gut inkludierter Mensch, ich meine eher Kids die nicht einmalig aus Gag in die Mülltonne gesteckt werden, sondern jahrelang. Das ist nicht witzig! Scheitern ist nicht schlimm, auch nicht bei denen, die sich mit der Inklusion noch nicht so gut auskennen. Daran kann man gemeinsam wachsen. Niemand muss perfekt sein und nichts kann immer gleich super klappen. Aber Leute, bitte kein Mobbing! Wie "unsexy" ist das denn! Das zerstört die Entwicklungsmöglichkeiten eines jeden Menschen nachhaltig und manchmal sogar den ganzen Menschen. Gesund zu sein, keine Behinderung zu haben, das ist kein Verdienst, das ist verdammtes Glück. Einem Handicap ist es egal, wen es sich als nächsten schnappt und jeder kann erblinden, plötzlich auf den Rollstuhl angewiesen sein, sein Gehör verlieren, von heute auf morgen anders aussehen oder durch Einwirkungen, für die er nichts kann, plötzlich Wahrnehmungs- und Lernschwierigkeiten haben. Wir sind alle Davongekommene auf eine gewisse Weise, bitte Fairness für die, die es nicht sind, die dafür aber Potenziale und Sichtweisen, Menschlichkeit und Herzenswärme mitbringen, wovon wir profitieren können.
Dieser Beitrag soll ein Denkanstoß sein, mehr kann er nicht leisten. Er soll keine Argumentationshilfe für InklusionsgegnerInnen sein. Wenn etwas nicht gut gemacht ist, müssen wir es eben besser machen, nicht weglassen. Da gibt es ein treffendes Zitat für Inklusionsfeiglinge in einem Kraftklub-Song: "Bevor ich etwas falsch mach, mach ich lieber gar nix". Inklusion gelingt nur durch Inklusion! Aber immer mit Feingefühl und "Opfer" bringen bitte nicht falsch verstehen, SchülerInnen sind keine "Experimente"!