Modenschau tastbar

Für alle, die nicht dabei sein konnten, hier ein kleiner Einblick in die erste dokumentierte Modenschau für blinde Menschen. Wer sich für Braillestickereien oder tastbare Stickverziehrungen auf Kleidungsstücken interessiert, möge sich vertrauensvoll an Antje Kunze wenden, welche in ihrer Leipziger Kunststickerei aus den textilen Designerstücken unserer Ausstellung wahre "Hingucker" für die Fingerspitzen kreierte: stickerei.kunze@web.de

Die Schönheit der Blinden

Barrierefreie Fotodokumentation

Fotograf: Karsten Hein

Hände tasten über einen schimmernden Stoff, dann über einen flauschigen, dann über feine und glatte, über grobe und raue Strukturen; staunende und konzentrierte Gesichter, rätselhafte Blicke…

Am Anfang dieses Projektes stand eine blinde Frau, die davon träumte, ein Fotomodel zu sein. Und dies ist nicht ungewöhnlich. Wie jede andere Frau wollen sich auch blinde Frauen einmal ganz besonders fühlen; sich außergewöhnlich kleiden, von einem Profi geschminkt werden - eben ganz wie ein Model.

Das Ausstellungsprojekt berichtet von einer Modenschau von Blinden für Blinde. Blinde Models und ein blindes Publikum - eine Modenschau zum Anfassen. Ergänzt wird die einfühlsame Fotodokumentation von Texten in Punkt- und in "Schwarz"-Schrift sowie O-Tönen der blinden Protagonisten.

Eine Exposition zum Hören, zum Lesen und zum Verbinden der Welten von Blinden und Sehenden.

Ausstellungstermine:

23.10. bis 25. Oktober 2015 Designers Open in Leipzig auf der Messe
10. Juni bis 10. Juli 2014 im City Carré in Magdeburg
21. September bis 2. November 2013 in der Galerie Bernau
19. März bis zum 14. April 2013 im Kunstforum Halle

Termine 2015:

30.04. - 15.05. Harzsparkasse Quedlinburg
19.05. - 29.05. Harzsparkasse Halberstadt
02.06. - 17.06. Harzsparkasse Wernigerode
ab 04. 12. 15 Galerie in der Brotfabrik Berlin

2015 präsentierte sich die Ausstellung außerdem auf der "Designers Open" in Leipzig und 2016 in Paris. "Die Schönheit der Blinden" bleibt weiterhin als Wanderinstallation buchbar.

Interview mit der blinden Autorin Jennifer Sonntag

Porträt von Frau Sonntag
Bildbeschreibung

Frau Sonntag, Sie sind Mitinitiatorin und Teilnehmerin des Ausstellungsprojektes "Die Schönheit der Blinden", zudem haben sie sich als Autorin schon mit Blindheit und Schönheit beschäftigt. Was interessiert Sie an diesem Thema?: In meinem Buch "Hinter Aphrodites Augen" hat mich zum Beispiel interessiert, wie geburtsblinde als auch spät erblindete Frauen verschiedensten Alters die Schönheit definieren – was Schönheit für sie ist und ausmacht. Blinde werden von der Gesellschaft gern in einen Topf geworfen, ein eindimensionales Bild entsteht, dabei bleibt die Unterschiedlichkeit auf der Strecke. Eine Teilnehmerin der Modenschau, die Karsten Hein nun für die Ausstellung dokumentiert hat, sagte dazu Folgendes: "Zum Glück sind wir alle Individualisten und lassen uns nicht auf den gemeinsamen Nenner "Blindheit" reduzieren.

Was ist das Spannende an der Ausstellung?: Es ist eine interessante Symbiose von Bild, Schrift und Sprache. Vieles von dem, was ich während meiner Autorenschaft beschrieben habe, wird durch die Fotografien von Karsten Hein auf ganz andere Art und Weise behandelt und umgesetzt. Letztlich dokumentiert die Ausstellung auch diese Suche nach dem inneren Spiegelbild – das Äußere können wir Blinde nun mal nicht erfassen.

Was ist für Sie persönlich neu gewesen?: Ich denke, wie gut letztlich die Umsetzung der Stickereien von Antje Kunze für uns Blinde zu lesen gewesen sind. Die Idee, die Brailleschrift auf der Kleidung "sichtbar" zu machen, unterstütze ich schon seit Jahren. Dass es bei der Realisierung nun aber so gut fühlbar gewesen ist, hat mich sehr überrascht. Ich würde mir ja wünschen, dass es zukünftig Produzenten gibt, die diese Innovation in die Welt tragen, damit diese Idee nicht irgendwo im Nirwana verschwindet.

Durch das Lesen der Schrift sind sich Modelle und Zuschauer sehr nah gekommen. Dies war sicherlich ungewohnt. Oder?: Ja. Und komischerweise könnte sich dazu ein Klischee bestätigen, was in der Öffentlichkeit herumgeistert. Und zwar, dass Blinde sich durch Berührung ein Bild von anderen machen würden. Das ist natürlich Quatsch, denn normalerweise macht man sich als Blinder über die Stimme und Ausstrahlung ein Bild, nie aber über das Abtasten des Gesichtes oder ähnliches. Im Gegenteil: Für viele Teilnehmer der Modenschau war es eine absolut neue Erfahrung, sich so nah zu kommen, andere zu berühren.

Klischees gibt es also einige. Kann eine solche Ausstellung helfen, diese abzubauen?: Ja, denn zum einen zeigt die Realisierung erst einmal, dass es sich hier nicht um ein Randgruppenthema handelt, sondern einen Teil der Gesellschaft widerspiegelt. Die Ausstellung lockt sehende Menschen an, verändert vielleicht auch Sichtweisen und hebt Berührungsängste auf. Viele Leute denken doch beim Thema Blindheit nur an die ältere Dame mit Stock und Armbinde oder aber, dass Blinde den ganzen Tag nur auf dem Balkon sitzen würden und dem Zwitschern der Vögel zuhören. Ich zum Beispiel bin eine berufstätige Frau, führe ein erfülltes Leben, das ich blind bin, ist dabei nur ein Aspekt, der mich ausmacht.

Finden Sie, dass Blinde in der heutigen Zeit in der Öffentlichkeit genügend Aufmerksamkeit bekommen?: Ich bin ein positiver Mensch und mag mich nicht mit den negativen Dingen aufhalten. Deshalb bin ich froh über alle Erleichterungen, die die heutige Zeit mit sich bringt. Wir Blinde profitieren ungemein davon. Gerade der technische Fortschritt, so z.B. spezielle Computersoftware, ermöglicht es doch, mit seiner Umwelt zu kommunizieren. Deshalb bin ich froh, in dieser Zeit zu leben. Oder eben die Ausstellung "Die Schönheit der Blinden": Nicht nur, dass sie das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit rückt, auch ist sie ja für Blinde und Sehbehinderte konzipiert. Dies wäre noch vor Jahren undenkbar gewesen.