Ein Journalist schrieb einmal: "Sie hat immer eine Frage mehr, als Antworten." Eine sehr treffende Formulierung. Auch wenn ich in den "SonntagsFragen" die Rolle der Interviewenden übernehme, sitze ich manchmal auch auf der anderen Seite. So stand ich für das Onlinemagazin "Rehacare" Rede und Antwort und besonders eine Frage ist mir in Erinnerung geblieben:
"Was wollten Sie schon immer einmal machen und warum haben Sie sich bisher nicht getraut?"
Es sind oft die kleinen Dinge, die zu ganz großen werden, weil sie für Menschen mit Behinderungen unerreichbar sind. Die Relationen verschieben sich. So ist für mich das, was für manchen vielleicht einen lang gehegten Lebenswunsch darstellt, eine ganz normale Sache, während Dinge, die für andere eine Selbstverständlichkeit sind, für mich zu einem unerfüllbaren Traum heranwachsen können. Deshalb beantwortete ich die Frage so:
"Ehrlich gesagt, sind das eher so kleine romantische Träume, alles was nichts mit Öffentlichkeitsarbeit und Rampenlicht zu tun hat. Früher habe ich immer gedacht, in meinem Leben fühlt sich irgendwas besonders spannend an, wenn man modelt, Bücher schreibt, im Fernsehen auftaucht oder vor vielen Menschen spricht. Aber das sind für mich persönlich nicht die Vehikel zum Glück. Für mich als Blinde ist es schon manchmal eher ein völlig verrücktes Wagnis, mir ganz normale Dinge zu wünschen und mich zu trauen, denn sie werden immer zu etwas Abgefahrenem, da man ja stets kreative Lösungen finden muss, gibt es doch genug Barrieren. Und einfachste Dinge fühlen sich schon manchmal wie ein ziemlich extravagantes Hobby an. Sportliche Herausforderungen eben. Eine überwältigende Leidenschaft ist für mich das Radfahren, weil ich es eben nicht selbstständig kann. Deshalb sind die Ausflüge mit meinem sehenden Partner und unserem Paralleltandem für mich ein ganz neues Stück Lebensqualität und Vertrauen Lernen – das kann ich nämlich als Kontrollfreak nicht sehr gut. Da ist es in meinem Fall vergleichsweise leichter, Bücher zu schreiben oder Prominente zu interviewen." Jenes Paralleltandem ist es auch, welches ich Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen schwer überzeugt ans Herz legen möchte. Es lässt sich nicht nur blind, ich rede natürlich vom Beifahrer, wunderbar nutzen, sondern kann auch bei verschiedensten neurologischen Einschränkungen, durch individuelle Anpassungen, zum Einsatz kommen. Rollstuhlnutzer können ebenfalls durch spezielle Installationen ausgedehnte Radtouren genießen.
Auch ich war eine von denen, die lange nach "ihrer" Sportart suchten. Mir ging es da wie dem von mir hoch geschätzten Raul Krauthausen. Ich gehörte nicht zu den Menschen mit Behinderung, die mit sportlichen Höchstleistungen auffielen. Keine Sorge, daran hat sich grundsätzlich nichts geändert. Aber ich tue etwas für meine Fitness. Laufband, Schwimmen und mein heiß geliebter Hula Hoop Reifen sind die eine Sache, mit dem Rad an der frischen Luft und das auch noch gemeinsam, das ist eine viel erfüllendere. Die typischen Blindensportarten wie Torball, Blindenfußball und Tischtennis find ich bei anderen super, waren aber nie mein Ding. Für ein normales Tandem ist mein Kreislauf zu kippelig und mein Partner zu angespannt. Es sollen ja beide Freude haben und wir sitzen auch der Kommunikation wegen lieber nebeneinander. So fanden wir zum Paralleltandem.
Was "wieder radeln können" für einen blinden Menschen bedeutet, der aufgrund seiner fortschreitenden Sehbehinderung in frühen Kindertagen zum letzten Mal auf einem Fahrrad saß, muss ich wohl keinem erzählen. Nach über 20 Jahren so frei und mobil mit meiner Umwelt in Kontakt zu sein, das war für mich weltbewegend. Ich konnte mich von all den von der Blindheit gesetzten Beschränkungen und Beklemmungen freistrampeln. Auf diese Weise aktiv sein und wahrnehmen zu können, bewegen zu können und beweglich zu sein, das vermittelte ein ganz neues Körpergefühl. Und was dem Körper gut tut, kommt auch im Inneren an. Da platzte schon so mancher Knoten und machte Raum für Erkenntnis.
Natürlich wird sich die Eine oder der Andere fragen, was denn die Blinde vom Radeln habe, ohne die Aussicht genießen zu können. Ich darf verraten, dass gerade im Freien auch meine Sinne einen sehr freien Blick haben. Beim Autofahren erlebe ich das anders und fühle mich tatsächlich eingesperrt, da die Sinne nicht aus dem Fenster schauen können. Auf dem Rad spüre ich die unterschiedlichsten Untergründe, die ich selbst aktiv meistern muss, Sonne, Wind und Regen fühle ich auf Haut und Haar, ein Potpourri an Düften blättert sich auf, wie ein Bilderbuch voller Geschichten und dann sind da all die Geräusche um mich herum, ein Konzert voller Eindrücke. Und manchmal machen wir Halt an einem Kirschbaum und schlagen uns die Bäuche voll. Durch die schnelle Fortbewegung kann ich viel mehr Umweltinformationen einfangen als zu Fuß, da ich dann meist nur in einer Szene verweile. Behindert komme ich mir mit unserem Unikum nicht vor, im Gegenteil, es enthindert ja. Klar, es ist ein Hingucker, aber ein positiver. Wir haben so viele "Daumen Hochs" und gute Laune für dieses Teil geerntet, dass wir irgendwann aufgehört haben, die netten Rückmeldungen zu zählen. Menschen freuen sich, wenn sie etwas Schönes sehen.
Zu einer guten Investition gehört eine gute Beratung. Die haben wir im Reha Rad Centrum in Fraureuth erfahren. Dörte Krampitz und ihr Mann stehen mit Herzblut hinter ihrem Konzept. Und sie kämpfen für die Belange Ihrer KundInnen. Das ist nicht immer leicht, wie erfahrene TeilhabeaktivistInnen wissen. Leider ist nicht nur das Radeln eine sportliche Herausforderung, sondern auch die Bewilligung eines solchen Rehagefährts. Aber Dranbleiben lohnt sich, denn auf Inklusion "fahren wir ab"!
Kontakt: http://www.reharad.de E-Mail info@reharad.de Telefon: 03761-478201
Foto: Jennifer Sonntag mit Radpartner auf Paralleltandem