Ich möchte dieses Kapitel mit einer Lektion über die Frau als solche beginnen.
Geschätzte Weibchen, nehmt mir meine Theorie nicht übel, wir sind eben
mitunter etwas sonderbare Wesen. Frauen unterscheiden den Begriff "Einkaufen"
deutlich vom Phänomen des "Shoppens". Das Einkaufen ist ein
notwendiges Übel, bei dem man mit so spannenden Dingen wie Klopapier,
Weichspüler im Nachfüllpack, Asia-Nudelsnacks und Dosenfutter fürs
Haustier konfrontiert ist. Shoppen hingegen ist eine Obsession, bei welcher das Herzchen
eines jeden Weibsbildes höher zu schlagen beginnt. Ein unaufhaltsames
Endorphinspektakel schaltet das Bewusstsein für Raum und Zeit nahezu aus, denn
Shopping klingt nach tollen Klamotten (für drüber und für drunter), nach
Schuhen, nach Schmuck, nach Täschchen, generell nach den angesagtesten oder aus
Protest nach den unangesagtesten Designerlabels, nach Kosmetikprodukten, nach
Räucherstäbchen, nach furchtbar niedlichen Elfenskulpturen mit
Glitzerflügelchen, nach Schnäppchen aller Art und Unterart, eben nach allem,
was definitiv nur Frauen begreifen. Sollte sich jedoch auch der ein oder andere Mann in
meinen Ausführungen wiederfinden, dann Gratulation: Du bist eine von uns und stehst
wahrscheinlich auf Jungs.
Nachdem also nun die beiden Grundbegriffe des weiblichen Kaufverständnisses
geklärt sind, wage ich mich an den nächsten Schritt. Nun, lieber Leser, lass uns
mit dem unangenehmeren Thema "Einkaufsstress" beginnen. Wenn wir diesen
Ritt hinter uns gebracht haben, lade ich dich zum ausgiebigen und gemütlichen
"Shoppen" ein.
Hast du uns denn schon einen Einkaufszettel geschrieben? Ja? Das ist nett von dir, nur
leider kann ich ihn nicht lesen. Mein Einkaufszettel sieht etwas anders aus als deiner.
Entweder liegt er in meinem Kopf, denn als Blinder muss man sich ohnehin eine Menge
merken, oder er steht auf einem Punktschriftstreifen. Hilfreich ist für solche Zwecke
auch eines meiner klitzekleinen Diktiergeräte, falls die Liste selbst für mein
Elefantengedächtnis einmal zu lang sein sollte. Also los, auf zum Supermarkt …
Ich kann dir sagen, lieber Leser, ich habe mir eine Zeit lang große Mühe damit
gemacht, den räumlichen Aufbau sämtlicher Einkaufsmärkte in meinem
näheren und weiteren Umfeld einzuprägen. Die einzelnen Warengruppen sind
überall anders platziert und sortiert. In einem Wust von Gängen, Schlippen,
Ecken, Regalen, Ständern und Truhen erarbeitete ich mir Kaufhalle für Kaufhalle
ein System, welches spätestens dann im Eimer war, wenn zum abertausendsten Mal
umgeräumt wurde. Auf diese Weise wurde mein innerer Routenplan immer wieder
ruiniert. Aber selbst wenn alles so bleibt, wie es ist, wird an Barrieren nicht gespart. Es geht
schon damit los, dass ich erst mal den Eingang der guten Stube finden muss. Da die
kundenfreundlichen Parkplätze und die wild umhersteuernden Autofahrer für
mich häufig so was wie einen Agylityparcours darstellen, bin ich oft schon vor dem
Einkauf sportlich aktiv. Klappernde Einkaufskörbe und hörbar rumorende
Automatiktüren verraten mir freundlicherweise dann oft den Weg zur ersehnten Pforte.
Im Inneren des prall gefüllten Einkaufskörpers angekommen, treten nun Nase
und Ohren in Konversation und bieten mir aus verschiedensten Richtungen und
Entfernungen vielfältige Reize an. Links neben mir schnuppert es nach
Blumensträußen, rechts nach frischen Brötchen. Ein Stück weiter hinten
scheppern Glasflaschen aneinander und verraten die Getränkeabteilung und irgendwie
um die Ecke herum höre ich das Piepen der Kassenscanner. Würden die zwei
kleinen Kinder vor mir nicht so laut umherbrüllen um ihr Muttertier nach
Süßigkeiten anzubetteln, könnte ich auch das leise Grummeln der
Tiefkühltruhen vernehmen, welche einen entscheidenden Orientierungspunkt für
mich darstellen. Aber wenigstens verraten mir die Betteltiraden der Kinder, was so alles im
Süßigkeitenregal steht. Überhaupt schnappe ich gern den einen oder anderen
Hinweis über das angebotene Sortiment auf. Manchmal suche ich regelrecht mit
meinen Ohren nach aufschlussreichen Kommentaren, die sich Kunden oder Kassierer
gegenseitig zuwerfen, denn sie bereichern mein inneres Vorstellungsvermögen von der
Angebotspalette: "Mutti, bitte kauf mir die Oblaten mit Kakaofüllung!"
"Herbert, wollen wir am Wochenende mal diese mexikanische Kartoffelpfanne
probieren?", "Schau mal Schatzi, hier haben sie jetzt auch Sushi",
"Wollen wir für Ines eine große oder kleine Packung Möhrensaft
mitnehmen?", "Wie teuer ist dieses Gewürzset?", "Der
Erkältungstee ist im Angebot, kostet sogar weniger als der mit Apfel-Zimt" Aha,
denke ich in solchen Situationen, was die hier so haben… Leider bin ich ja dazu verdonnert,
nur die Produkte zu kennen, die an mich herangetragen werden. Kurz nach meiner
Erblindung bezog ich mich auf immer die gleichen, mir bekannten Waren, da ich um die
Existenz der anderen nicht wusste. Was dem Auge nicht wiederholt präsentiert wird,
verschwindet häufig im inneren Vorstellungsvermögen.
Die wahrnehmungsstrategisch perfekt durchdachte Warenanordnung, welche den
guckenden Kunden zum Kaufen auffordern soll, bleibt für den blinden vollkommen
unregistriert. Bedauerlicherweise können die Produkte nicht sprechen um sich
kenntlich zu machen.
Habe ich durchschaut, wo sich in etwa welche Warenkategorie befindet, fehlen mir noch
immer die Details. Die Tatsache, dass ich jetzt z. B. vor dem Weinregal stehe, verrät
mir noch lange nicht, welches der günstigste halbtrockene Weißwein ist, geschweige
denn, wo hier überhaupt Weißwein drin ist. Eine prägnante Flaschenform kann
helfen, aber wer will schon Flasche für Flasche eines mehrlagigen Spirituosenregals
durchfriemeln. Ein Blinder hat ja schließlich auch nicht mehr Zeit zum Leben als alle anderen
und will nur mal eben nach der Arbeit schnell einen Einkauf machen, bevor die Gäste
kommen oder der Hund den Gassigang einfordert. Außerdem fühlt sich ausgerechnet
meine gesuchte Flasche so an, wie fünf andere Sorten. Die Zeit drängt also nicht
selten und der Wein ist nicht das Einzige, wovon man sich so als Blinder ernährt. Da
stehe ich nun vor dem Kühlregal. Aber woher soll ich wissen, wonach ich suche, wenn
ich gar nicht weiß, was es alles gibt? Damit es schneller geht, nehme ich, was ich immer
nehme, aber leider erkenne ich ohne sehende Hilfe an der bloßen Form des Bechers nicht,
um welche genaue Sorte Joghurt, Pudding, Quark, Sahne, Creme fraiche, Frischkäse
oder Milchreis es sich handelt, welche Nährwerte draufstehen und wann das Produkt
verfällt. Kosten ist ja nicht erlaubt. Da ich auf Schokoladenzusätze allergisch
reagiere, muss ich diese tunlichst meiden. Erwische ich aber das falsche Produkt, merke ich
manchmal erst, wenn’s schon im Mund ist, dass jener Bissen gerade nicht so günstig
war.
Wurst- und Käseverpackungen sagen mir zwar, wenn sie gute Laune haben, ob ihre
Scheibchen rund oder eckig sind, das war's aber dann auch schon an Aufschluss. Zwischen
Salami und Gemüsepastete liegt ja schon ein himmelweiter Unterschied.
Vor dem Regal der Brotbackmischungen angekommen, fühle ich nun zahlreiche
mehlgefüllte Päckchen, aber ob’s ein Vollkorn- oder Weißbrot werden will, bleibt
mir ein Rätsel, mal abgesehen davon, dass ich die Beschreibung der Zubereitung auch
nicht lesen kann. Also mache ich mich auf zu den Konservendosen, aber egal, wie lange ich
daran rüttle und schüttle, ich kriege nicht raus, ob ich Mischgemüse oder
Pfirsichkompott erwischt habe. Bei den Gläsern läuft’s auch nicht besser.
Schwimmen da nun saure Gurken, Wiener Würstchen oder Himbeeren in der
Brühe? Die Frischobst- und Gemüseabteilung ist da schon sympathischer,
vorausgesetzt die einzelnen Leckerbissen sind "nackig" und haben sich nicht
irgendeine Schachtel mit Folieüberzug umgeworfen, oder ein engmaschiges Netzchen,
wo keine Fingerspitze durchpasst. Sind diese Kleidungsstücke gnädigerweise
weggelassen worden, kann ich Früchtchen für Früchtchen begrabschen,
aber das wird nicht so gern gesehen von den Augennutzern. Habe ich mir dann ordentlich
das Beutelchen vollgeräumt, mit Tomaten, die sich zwar gut anfühlen aber
braune Flecke haben, muss ich nun zur Waage gehen und ein Knöpfchen bedienen,
um mir den dem Gewicht entsprechenden Preis ausrechnen zu lassen. Jedes Kind kann
das, denn es wird hier mit Abbildungen gearbeitet. Wo 'ne Tomate drauf ist, muss ich
drücken, wenn ich Tomaten in der Tüte habe. Aber wo ist so 'ne verdammte
Tomate drauf. Die Knöpfe fühlen sich alle gleich an, keiner besonders tomatig,
gurkig oder mandarinig.
Jetzt bleibt mir also auch verwehrt, was jedes dreijährige Kind kann. Und was nun? Bei
all diesen zweifelhaften und undurchschaubaren Dingen bin ich mir keiner Sache wirklich
sicher. Vor lauter Trotz würde ich mir jetzt am liebsten alles, was ich greifen kann, in
den Wagen donnern und zu Hause schnuppern und kosten, was alles dabei war.
Einkaufswagen? Geht ja auch nicht. Ich muss ja meinen Stock vor mir herpendeln und kann
mir nicht so eine sperrige Karosse vorm Bauch platzieren. Einige werden jetzt denken:
"Mein Gott, stellt die sich blöd an, das muss doch auch anders gehen." Ja,
klar, mit sehender Hilfe. Da gibt es nun mehrere Möglichkeiten:
Eine geeignete Vorgehensweise wäre, eine Kassiererin anzusprechen. Um sie
ausfindig machen zu können, muss ich mich am Klang der Kassen orientieren, denn an
einer solchen sitzt sie, die gesuchte Zielperson. In der Regel ist die, auf diese Weise von
hinten überfallene Verkäuferin, schwer beschäftigt mit der Schlange
stehenden Kundschaft und hat keine Zeit, einem Blinden das Sortiment mit allen relevanten
Sonderangeboten zu erörtern. Wenn möglich, wird jemand vom Personal
herangerufen, vielleicht ein Lehrling, vielleicht ein Lagerarbeiter, vielleicht aber auch eine
Kollegin von der Leergutannahme, die kurz etwas Zeit entbehren kann, um meinen
Einkaufszettel abzuarbeiten.
Einige meiner blinden Bekannten versuchen feste Termine mit dem Kaufhallenpersonal
abzusprechen, so dass die Mitarbeiter den Mehraufwand einplanen können. Hilfreich
ist es, wenn der Blinde schon vorher weiß, was er will, und seine Wünsche gezielt
vorträgt. Zum geduldigen Stöbern durch die Regale hat selbst die hilfsbereiteste
Verkäuferin keine Zeit.
Kleinere Kaufhallen oder familiäre Tante-Emma-Lädchen eigenen sich besser als
anonyme Kaufpaläste. Hat man eine Verkäuferin des Vertrauens, ist vieles
einfacher. Für einen blinden Kunden ist das Aufsuchen von überschaubareren
Spezialgeschäften empfehlenswert. Der Fachhandel ist zwar etwas teuerer, aber der
nicht Sehende kann sich an einen beratenden Ansprechpartner wenden und sich ganz in
Ruhe alles erklären lassen. Selbst das ist aber manchmal nicht so einfach. Stehe ich
z. B. beim Bäcker und erahne hinter mir eine lange Schlange, werde ich nicht die
Dreistigkeit besitzen, und die Beschaffenheit jeder Kuchensorte erfragen. Schon das Nennen
der einzelnen Gebäckarten durch die Verkäuferin dauert seine Zeit, wenn ich
mich dann noch danach erkundigen würde, ob der Mohnkuchen eine Gitter- eine
Streusel- eine Zuckerguss- oder eine Eierscheckedecke trägt, würde den Leuten
hinter mir der Geduldsfaden endgültig reißen. Ich muss also in einem solchen Fall
darauf hoffen, dass ich mir drei von den 12 heruntergerasselten Kuchensorten merke und
dass sie einigermaßen meinen Vorstellungen entsprechen. Das gelingt selten. Der
Mandarinenkuchen, den ich mir mit Tortenguss vorgestellt hatte, besteht dann oft aus
Quarkmasse, das Stück Bienenstich ist doppelt so groß wie vermutet oder die
Käsestange ist ein belegtes Baguette mit fetttriefender Majonäse und nicht das
erwünschte Trockengebäck. Aber ich bin ja schon mal froh, wenn ich das Ende
der Schlange finde und erkenne, ob ich dran bin. Da der Verkaufstresen oft so hoch ist, dass
die Dame dahinter den Blindenstock nicht sieht, kommt es nicht selten zu
Missverständnissen. Ich beginne z. B. meine Wünsche zu äußern, obwohl
ich noch gar nicht dran bin, oder die Leute drängeln sich vor, weil ich nicht auf die
Ansprache der Verkäuferin reagiere. Oft sprechen die Damen an der Verkaufstheke in
irgendeine Richtung, nur nicht in meine. Landet ihr "Ja bitte" z. B. im Brotregal,
kann ich kaum darauf kommen, dass ich gemeint bin, denn ich sitze ja nicht im Brotregal.
Wesentlich stressfreier gestaltet sich so ein Einkauf, wenn ich mit jemandem aus meinem
Freundes- oder Familienkreis unterwegs sein kann. Wenn nicht gerade die Zeit im Nacken
sitzt, macht so ein Rundgang durch die Kaufhalle sogar richtig Spaß. Ich entdecke neugierig
wie ein kleines Kind durch die Augen meines Begleiters immer wieder neue Dinge und
nehme sie in meinen Gedächtnisspeicher auf. Dinge, die einen Sehenden, tagein
tagaus, vollkommen übersättigen, sind für mich häufig bereichernde
Neuheiten. Natürlich wird ein Sehender nicht alles kaufen können, was er
erblickt, aber wenn er etwas nicht kauft, dann tut er es meist, weil er es nicht mag und nicht
weil er es nicht sieht. Ich ignoriere aber ungewollt den größten Teil der Angebote, weil
sie sich mir eben nicht persönlich vorstellen.
Apropos vorstellen … Geschätzter Leser, stell dir vor, du läufst durch eine reich
gefüllte Kaufhalle, aber sämtliche Produkte sind unbeschriftet und stecken in
blauen Verpackungen. Du würdest blaue Gläser, Flaschen, Becher,
Pappschachteln und Dosen in den vielfältigsten Variationen erblicken, könntest
aber nur spekulieren, ob du z. B. eine Schachtel Kohlenanzünder oder eine Packung
Kekse erwischt hast. In dir würde das Bedürfnis aufsteigen, nachdem
Schütteln und Schnuppern am rätselhaften Produkt keinen Aufschluss ergab, die
Schachtel einfach aufzurupfen, um dir vom Inhalt ein Bild zu machen. Diesen Gedanken
hege ich oft. Ich stelle mir vor, was passieren würde, wenn das optische
Verpackungsdesign auch für meine sehenden Mitmenschen unsichtbar bliebe.
Würde der Hersteller die Waren mit Punktschriftmarkierungen ausstatten, würde
der Einkauf zwar immer noch sehr lange dauern, da der Tastsinn ja keinen
Gesamtüberblick gewinnen kann und sich nur Gegenstand für Gegenstand
erschließen kann, aber hilfreich wäre es dennoch sehr. So müsste ich, zu Hause
angekommen, die einzelnen Dinge nicht mühsam sortieren oder selbst beschriften.
Wenn ich beispielsweise aus der Kaufhalle drei verschiedene Mikrowellengerichte oder
Joghurtsorten mitgenommen habe, weiß ich beim Auspacken der Einkaufsbeutel schon nicht
mehr, welches nun welcher Sorte entspricht, vor allem dann, wenn die Form bei allen
identisch ist. Entweder markiert oder sondiert der Blinde die Sachen schon in der
"Alditüte" so, dass er sie, in der Heimat angekommen, wieder erkennt, oder
er schnappt sich auch hier einen Augennutzer. Sagt der Augennutzer mir nun, was Schickes
auf den erworbenen Gütern steht, kann ich sie mir entsprechend ordnen, z. B.:
Nudelgerichte oben links im Schrank, Reisgerichte unten rechts im Regal, Vanillepudding
oben im Kühlschrank, Kirschquark unten, Lachsschinken auf Käsepackung mittig
zwischen Salami links und Mortadella rechts. Habe ich einen Sehenden im Haushalt
kommt’s eh durcheinander und dann erwisch ich schon mal statt des Senfbechers das
Nudossi (sehr lecker auf dem Frühstücksei) oder die Kokos- statt der
Haselnusspralinen usw. Manche Dinge werden im Kühlschrank auch glatt vergessen,
weil von mir übersehen und immer dran vorbeigegriffen. Was nicht optisch
präsent ist, verschwindet schnell mal in der Versenkung und überschreitet
unbemerkt und ungeniert sein Verfallsdatum.
In meinem Haushalt hat es sich bewährt, eine "Gütertrennung"
vorzunehmen, wenn sich ein "Gucki" einquartiert (nach dem Motto: oben das
Meine unten das Deine). Wenn ich dann etwas nicht finden sollte, bin ich selber schuld und
kann mich vorwurfsvoll selbst dafür zur Verantwortung ziehen.
Wie wäre es eigentlich mit speziellen Kaufhallen, welche eigens für blinde und
sehbehinderte Kunden geschaffen sind? Konzeptideen hat es gegeben und einige Projekte
wurden bereits im kleinen Rahmen umgesetzt. Da es viel zu wenig blinde Menschen gibt,
wird sich ein solcher Sonderverkauf nicht etablieren. Außerdem würde dies dem
Integrationsprozess sehr ungünstig entgegenwirken. Anstrebenswert wäre die oft
zitierte Barrierefreiheit in allen gängigen Handelsstrukturen. Da liegt aber noch viel
Arbeit vor uns. Verurteilen möchte ich allerdings die Idee der Schaffung von
Einkaufslädchen für Blinde nicht gänzlich. Ich würde bestimmt auch
hineingehen und mich wohlfühlen, so als befände ich mich in einer kleinen Oase,
in der man meine Sprache spricht. Und Sehende wären ja auch herzlich eingeladen.
Auch der so genannte "Einkaufsfuchs" soll nicht unerwähnt
bleiben. Jenes Füchslein kommt nicht rothaarig auf Samtpfoten daher
geschlichen, sondern tritt in Form eines ausgeklügelten Hilfsmittels in
Erscheinung. Jenes Gerät identifiziert die Strichcoades der angebotenen
Produkte und informiert mittels Sprachausgabe den blinden Nutzer über
den Namen der unsichtbaren "Beute". Genial die Theorie,
unzweckmäßig die Praxis. So dankbar wie ich für die Erfindung
lebenserleichternder Helfer bin, so ehrlich muss ich sie jedoch auch bewerten.
Der Fuchs besteht aus großen, sperrigen Elementen und erkennt bei weitem
nicht alle Waren. Mit Stock, Einkaufskorb, ev. noch `nem
zusammengeklappten Regenschirm und Führhund ausgestattet, fragt
sich der Blinde ohnehin schon, wo es noch ein Doppelpack freie Hände
zu kaufen gibt. Wie soll er sich nun auch noch mit unhandlichem
"Kriegswerkzeug" auf die Konservendosen stürzen. Preise
können mit dem lieben "Erkennungskasten" auch nicht
entlarvt werden und auch andere wesentliche Details bleiben ein Rätsel.
Außerdem müsste der Blinde nahezu jedes Produkt einscannen, um aus
Tausenden Abpackungen seine gewünschte herauszufiltern. Man stelle
sich also einen Blinden mit klobigem technischen Zubehör vor, der sich
durch nahezu jedes Regal tasten muss um dort wiederum jedes Gut in die
Hand zu nehmen und es dem Fuchs zu füttern. Erwischt man dann zehn
mal hintereinander einen Joghurtbecher der gleichen Sorte, wird man
erkennen, dass dieses Prinzip nicht die Lösung des Einkaufsproblems
sein kann. Wie gesagt, die Idee ist großartig aber wie so oft hängt es an
der alltagstauglichen Umsetzung. Wenn ich mal 999 Wochen Urlaub haben
sollte, finde ich bestimmt Lust und Zeit, mich mit derartiger Technik durch die
Einkaufszentren zu bemühen. Ich kenne keinen blinden Menschen, der
sich diesen "Fuchs" hält, um sich damit ins Getümmel
zu stürzen. Mit anderen Worten: Funktioniert so nicht! Im Hausgebrauch
sieht das schon anders aus. Hier kann es sinnvoll sein, sich mit Hilfe des
Scanners einen Überblick in der eigenen Vorratskammer zu
verschaffen, vorausgesetzt das entsprechende Produkt gehört zu denen,
auf die das Gerät programmiert ist.
Aber es gibt eine weitaus praktikablere Variante der Einkaufsbewältigung. Viele meiner
blinden Befragten erküren einen Großkampftag aus, an dem ein Bekannter
(vorzugsweise mit Automobil) mit ihnen zusammen oder allein auf Vorrat einkaufen
fährt. Die kleinen Dinge, welche man selbst auch als Blindfisch problemlos nachkaufen
kann, können ja außer Acht gelassen werden, aber alles, was man auf Vorrat im Haus
haben sollte, lässt sich auf diesem Wege leichter transportieren. Denken wir doch nur
mal an Getränkekästen, Tiefkühlprodukte, Konserven oder diverse
Grundnahrungsmittel. Wer keine Unterstützung durch einen Autobesitzer genießt,
muss sich seine tausend kleinen und großen Dinge anderweitig zusammenstückeln.
Ein blinder Freund beauftragt für kompliziertere Einkäufe beispielsweise eine
Haushaltshilfe, die nette Dame vom Blumenstand oder den mobilen Lebensmittellieferanten.
Auch hier kommt es darauf an, in welchem Umfeld die entsprechende Person lebt, wie groß
ihr Bekanntenkreis ist, wie zuverlässig ihre soziale Anbindung. Ich selbst habe das
Glück, wertvolle Unterstützung durch mein engeres familiäres Umfeld und
durch meinen Freundeskreis zu erfahren. Blinde Menschen, die sich vollkommen allein
gelassen durchs Leben beißen müssen, verdienen meinen absoluten Respekt. Ein
betroffener Bekannter, Thomas Falke sein Name,
hat diesbezüglich einmal einen sehr passenden Artikel mit der vielsagenden
Überschrift: "Der Preis der Freiheit – Fünf Becher Waldfrucht"
verfasst. Er hatte sich damit abfinden müssen, als blinder Selbstversorger nicht
wählerisch sein zu können und griff eben immer wieder nach jener einen
Joghurtsorte, welche er am Becher erkannte. Ich glaubte anfangs, mich sehr
unselbstständig zu verhalten, wenn ich mir Hilfe organisiere. Im Laufe meiner
zunehmenden Erblindung habe ich jedoch erkannt, dass angemessene Hilfe anzunehmen
etwas sehr Selbstbestimmtes sein kann. Es ist gut zu wissen, dass man die Anforderungen
auch ohne Hilfe bewältigen könnte, aber es ist nicht immer sinnvoll, dies auf
Biegen und Brechen zu praktizieren. Wenn ein Sehender im Handumdrehen eine bestimmte
Sache dreimal schneller als ich erledigt hat, kann es manchmal angebrachter sein, diverse
Aufgaben abzugeben. Ich hatte ja bereits erwähnt, dass ich auch nicht mehr Zeit zum
Leben habe als andere Menschen und wenn ich nach einem anstrengenden Arbeitstag noch
ein sechzigseitiges Manuskript korrigieren muss, sollte ich mich nicht noch fünf
Stunden tastend und erfolglos in einer Kaufhalle rumdrücken, erst recht nicht, wenn mir
ein lieber Sehender parallel zu seinen Einkäufen meine gleich mit erledigt oder die
Sachen schnell mit mir zusammen durchgeht. Sehende untereinander teilen sich da auch
rein. Da wird nicht der Ehemann nach einem 12-stündigen Arbeitstag seine
Einkäufe separat absolvieren, nur um der Gattin zu beweisen, wie selbständig er
ist.
Hui, wir haben es geschafft lieber Leser. Die notwendigen Übel sind erledigt. Widmen
wir uns nun also den angenehmeren Dingen des Lebens, dem Shopping. Ich hoffe, du hast
dir einen Tag dafür freigenommen, denn hierbei geht es nicht einzig und allein darum,
sich einen neuen Pulli zu kaufen, weil der alte ein Loch hat, sondern um ein ganzes
Identitätskonstrukt. Für viele Frauen ist es wichtig, sich über Trends zu
informieren, durch Kataloge zu schmökern, die Stylings der Stars im Fernsehen zu
bewundern, andere Weibchen zu beobachten, um sich mit ihnen zu vergleichen, ein
umfassendes Verständnis von Mode zu entwickeln, um den eigenen Stil zu finden, die
eigene optische Wirkung zu bestimmen und bewusst einzusetzen, der eigenen Eitelkeit
nachzukommen, en vogue zu sein oder lieber alternativ, die eigene Kreativität und
Individualität zu veräußern, mit Outfits zu spielen. Kleider machen eben Leute,
das ist ein entscheidender Makel, aber auch ein entscheidendes Mittel der sehenden Welt.
Mode ist die Veräußerlichung von Identität. Nun stell dir vor, lieber Leser, du hast
nie gesehen. Die optische Veräußerlichung deiner Identität würde
vollkommen anders geartet sein. Schönheit würde nach anderen Prioritäten
definiert werden müssen. Blinde Designer würden ihr "Augenmerk"
auf ganz andere Grundsätze richten. Das Prinzip: "Hauptsache es sieht gut aus,
ist aber tierisch unbequem", würde sich relativieren. Da ich selbst in einer optisch
orientierten Welt lebe, passen sich meine Ansprüche an die Mode denen der
Augennutzer an. Jede Lady, die behauptet, sie trüge die knochenbrecherischen
Highheels, den tiefen Ausschnitt, die aufwändige Hochsteckfrisur und den Tuschkasten
im Gesicht nur für sich, um sich selbst schön zu finden, lügt so ein wenig
herum. Gäbe es nämlich keine Sehenden, müssten all die heißen "It-
Girls" andere Geschütze auffahren, um aufzufallen. Keine Tussi, würde bei
Minusgraden bauchfrei herumlaufen oder sich vor dem Verlassen des Hauses eine Stunde
lang irgendwelche Schichtschminke ins Antlitz spachteln. Aber auch ich bin ein Teil dieses
Phänomens, denn nur weil ich die anderen nicht sehe, kann ich nicht so rumlaufen, als
würden sie mich auch nicht sehen. Ich stehe also, wie alle anderen auch, mitten drauf,
auf dem Markt der Eitelkeiten. Auch ich behaupte, ich würde es nur für mich tun,
aber tue es immer auch für andere. Ich muss allerdings zugeben, dass ich z. B. kurze
Röckchen aus purer Bequemlichkeit trage (glaubt immer keiner) und nicht, um damit
die Männchen zu reizen. Auf lange Röcke trete ich ständig drauf, Hosen
zwicken meist irgendwo, und kurze Röcke erlauben einfach 'ne Menge
Bewegungsfreiheit. Oft geht es mir wirklich nicht um die Außenwirkung, da ich sowieso nicht
sehe, ob mir jemand nachglotzt oder nicht. Mir wäre in dieser Hinsicht der Aufwand zu
groß, mich für männliche Blicke aufzubrezeln, die ich eh nicht wahrnehme.
Unter "Guckis" zu sein heißt aber nun mal auch, gesehen zu werden und prompt
klopfen sie doch wieder ans Hintertürchen, die Eitelkeiten. Wohin aber mit der eigenen
Eitelkeit, wenn alle Schaufenster unsichtbar werden? Hier helfen wieder die Augen der
Menschen, die einen gut kennen und denen man vertraut. Gute Freundinnen informieren
mich regelmäßig über alles, was klamottentechnisch auf der Straße
herumläuft. Natürlich sind Geschmäcker verschieden, aber das macht mein
inneres Bild auch so vielfältig. Jede Freundin beschreibt andere Details, erachtet
andere Dinge für wichtig. Ihre Worte werden zu meinen Augen. Mal ganz abgesehen
davon, hab ich einen ganz speziellen Geschmack, und was an einer anderen Person gut
aussieht, muss mich noch lange nicht vorteilhaft kleiden. Ich habe sehr konkrete
Ansprüche an meine Outfits und das wissen auch meine Shopping-Begleiter. Leider
verfügt nicht jeder Blinde über einen eigenen Klamottengeschmack bzw.
über engagierte, modeinteressierte Freunde. Hier muss dann oft die Mutter oder
irgendeine Tante ran, und das kann übel enden. Ich habe allerdings Glück mit
meiner Mom, und geh sehr gern mit ihr in die Stadt, aber eben auch mit meinen besten
Freundinnen oder meinem männlichen Schatzi.
Geht es nun darum, Klamotten zu kaufen, gibt es auch hier wieder mehrere
Vorgehensweisen. Eine Möglichkeit besteht darin, dass eine sehende
Vertrauensperson schon mal "Vor-Shoppen" geht, um sich einen Überblick
über alles zu verschaffen, was mich interessieren könnte. So brauch ich mich
nicht sinnlos durch jeden Laden zerren lassen. Schlimm ist das mit dem "Vor-
Shoppen" für den Sehenden eher nicht, jedenfalls nicht, wenn es sich um eine
Frau handelt. Schließlich ist jedes Weibchen ja stets auch im eigenen Auftrag unterwegs und
guckt gleichzeitig für sich mit. In solchen Fällen erhalte ich dann meist einen
euphorischen Anruf, der mir verkündet, dass ich unbedingt in die Stadt müsse,
weil da und da das ultimative Abendkleid für mich hinge, hier und dort die Dessous
heruntergesetzt worden seien, woanders die Schuhe stünden, die ich schon ewig
suche und wieder woanders eine Jacke gesichtet worden sei, die perfekt zu meiner Hose
passt usw. Manchmal schicke ich meine Lieben auch mit einem vorgefertigten Wunsch auf
die Jagd, weil ich etwas Spezielles suche, ein anderes Mal lass ich mich vom Zufall
überraschen. Zu zweit in der Stadt angekommen, wird sich dann ins Getümmel
gestürzt, ran an die Kleiderstangen, an die Schuhregale, an die Wühltische und
rein in die Umkleidekabinen, ausgestattet mit einem großzügigen Sortiment an raffiniert
geschnittenen Textilien, für die Frau, um sie alle anzuprobieren, mehrere Stunden
braucht, aber das stört eine Dame nicht, auch eine blinde nicht. Was eine blinde Lady
jedoch stört ist die Tatsache, dass sie sich nicht in den gut beleuchteten
Kabinenspiegeln beäugen kann. Unsicher und schüchtern wird dann meist das
begutachtende Begleitweibchen herangerufen, welches dann entweder "Wow!!!"
oder "Geht gar nicht" sagen muss. Das ist ärgerlich, da immer jemand
anders zuerst sieht, ob etwas peinlich ausschautt oder nicht. Manche Teile möchte ich
wirklich ganz allein anprobieren und sie als gut oder schlecht befinden, bevor sie jemand
anders sieht. Einer meiner größten Wünsche besteht darin, einmal ganz allein
durch eine Shoppingmeile zu wandeln, um mich überall umzuschauen, um alles
anzuprobieren, was ich als spannend erachte, um mich zu sehen, in allem, was ich
irgendwie sexy finde. Ganz schlecht ist es, wenn die Reaktionen meiner Begleitung:
"Ich weiß nicht so richtig, entscheide du, ob du das Teil kaufst" lautet. Das ist ne
ziemlich unklare Sache und nimmt mir nicht gerade das Fragezeichen aus dem Gesicht, im
Gegenteil, es kommen noch drei weitere hinzu. Es ist unheimlich verunsichernd, Klamotten
nach dem "OK" eines anderen auswählen zu müssen. Zum
Glück habe ich an bestimmte Schnitte und Formen Erinnerungen und weiß, was ich an
mir überhaupt nicht haben will, aber bei einigen Kleidungsstücken kann ich die
optische Wirkung gar nicht einschätzen. Jede sehende Frau kennt das Problem, dass
manche Teile auf der Stange einen tollen Eindruck machen, sich getragen auch ganz gut
anfühlen, aber nach dem obligatorischen Blick in den Spiegel eher für
Weltuntergangsstimmung sorgen. Mit einem Männchen unterwegs zu sein, macht die
Entscheidung für oder gegen eine Klamotte oft nicht einfacher. Männer sehen
immer gern an ihrem Schatzi das betont "Weibliche", welches wir Frauen dann
schon eher als tief verachtete Problemzone nach allen Regeln der Kunst kaschieren wollen.
Auf diese Weise kann die Auswahl einer Hose schon mal voll danebengehen. Der Besitzer
eines freakigen Second-Hand-Shops erlaubte mir einmal großzügig, die
entsprechenden "Zweifelteile" mit nach Hause zu nehmen, um sie noch ein paar
Leutchen aus meinem Umfeld zu zeigen. Auf diese Weise konnte ich ärgerliche
Fehlkäufe vermeiden und die als ungeeignet erachteten Ungetüme wieder in den
Laden zurückbringen. Diese Kulanz ist aber leider die absolute Ausnahme.
Ich werde häufig gefragt, nach welchen Kriterien ich gehe, wenn ich mir ein
Kleidungsstück aussuche. Das kommt immer darauf an, wonach ich gerade suche.
Natürlich ist die Struktur des Stoffes von Bedeutung. Ich mag die Oberflächen
von Samt und Satin, Netz und Spitze, von Lack und Plüsch. Diese Materialien sind
aber nicht die alleinigen Ausgangskriterien. Ich kann mich auch mit schlichter Baumwolle, mit
Cord, Mikrofaser, Leder oder Wolle anfreunden. Entscheidender ist da schon der Schnitt.
Hier wird jedes Detail von meinen Fingern nach Herz und Nieren geprüft. Man braucht
keine Augen um festzustellen, ob beispielsweise ein Oberteil schulterfrei ist oder einen V-
Ausschnitt besitzt, ob es eng anliegt oder eher dem Schlabberlook entspringt, ob es den
Bauchnabel hervorblitzen lässt oder bis zum Hintern reicht, ob es Spagettiträger
hat oder lange Glockenärmel enthält usw. Aufwändige Teile muss ich mir
Stück für Stück erarbeiten, da mir der optische Gesamteindruck fehlt. Ich
kann mit meinen Händen ja nie das komplette Kleidungsstück auf einmal
betrachten, sondern immer nur den Bereich, den ich gerade berühre. Somit fällt
es mir manchmal schwer, bestimmte Zusammenhänge zu erkennen, z. B. den Verlauf
einer kunstvollen Faltenlegung oder einer verspielten Schnürung. Sind verschiedene
Materialien oder Accessoires verarbeitet worden, z. B. unterschiedliche Stoffbahnen,
Knöpfe, Schleifen, Reißverschlüsse, transparente Einsätze, Borten,
Häkchen, Schnallen, Strasssteinchen usw. muss ich mich häufig erst mal in
Handhabung und "Wirkungsweise" hineinfinden. Ich habe, wie bereits
angedeutet, sehr konkrete Vorstellungen davon, wie ein Kleidungsstück nicht
aussehen darf, weiß genau, wie es an bestimmten Körperstellen nicht sitzen darf, was
es betonen soll und was nicht. Ich kämpfe mich gern selbst durch die Kleiderstangen
und frage, wenn ich mich für etwas näher interessiere einen Augennutzer, ich bin
aber auch dankbar, wenn etwas direkt an mich herangetragen wird. Bei der erstgenannten
Variante laufe ich Gefahr, dass ich mich in ein Teil total verliebe, weil es taktil perfekt zu
meiner Vorstellung passt, dass ich aber aus allen Wolken falle, wenn ich im Nachhinein dann
etwas über die Farbgebung erfahre. So erging es mir mit einer Korsage. Ich hab sie
gefühlt, ich hab sie geliebt, sie war die Korsage meines Lebens, sie hat aber nicht
dazugesagt, dass sie ein total peinliches Kuhmuster trägt. Ich hatte sie mir in edlem
Schwarz vorgestellt, solange, bis ein Augennutzer meinen Traum wie eine Seifenblase
zerplatzen ließ. Aber auch die zweitgenannte Variante, nämlich sich verschiedene
Dinge zeigen zu lassen, birgt Risiken. Ich muss einer Verkäuferin schon sehr
vertrauen, um mich freiwillig von ihr beraten zu lassen. Da ich oft in auserwählten
Szeneläden einkaufe, habe ich mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis zu
den Besitzern oder Angestellten der Shops. Hier weiß ich, dass mir die Leutchen niemals
etwas aufschwatzen würden, von dem sie denken, dass es mir nicht steht. In einigen
Boutiquen oder Kaufhäusern hingegen möchte ich der Meinung der
verkaufsorientierten Beraterin lieber nicht trauen. Es ist mir oft sehr unangenehm, wenn ich
mir von meiner mitgebrachten Shopping-Begleitung in Ruhe etwas beschreiben lasse und
dabei permanent von einer Verkäuferin gestört werde. Wenn ich in einen Laden
hineinkomme, möchte ich mich erst mal in Ruhe mit den Augen meiner
Vertrauensperson umschauen, bevor ich mich auf die Empfehlungen eines Fremden
einlasse. Für kompetente Hilfestellungen im Hintergrund bin ich hingegen sehr
dankbar.
Das Shopping ist übrigens nicht ausschließlich an einen Stadtbummel gebunden. Es
gibt ja da noch die Kataloge, die Online-Shops, die Home-Shopping-Sendungen, Dessous
Partys oder Privatschneider. Ich ließ mir schon von zahlreichen Männlein und Weiblein
diverse Kataloge rauf und runter erklären oder beauftragte jemanden, im Internet
für mich etwas aufzustöbern. Hin und wieder wird mir auch mal ganz lieb etwas
gestrickt von Mami, oder gefädelt, geschnuddelt und gewuddelt von der Freundin, und
das kann sehr schick sein, wenn jemand meinen Geschmack kennt. Mädels tauschen
auch untereinander mal gern. Dieses Prinzip bereicherte nicht selten meinen Kleiderschrank.
TV-Shopping hingegen ist immer als etwas grenzwertig zu betrachten. Ich kenne einige sehr
einsame blinde Menschen, die sich an dieser Art des Einkaufens festklammern
müssen, um überhaupt einen Krümel vom großen Modekuchen
abzubekommen. Natürlich liegt der blinde Käufer hier mit seiner Auswahl nicht
immer richtig. Wer will schon eine unpersönliche Fernsehstimme zum Berater haben.
Gut, ich will das Konzept nicht verurteilen, hab auch schon das ein oder andere
Haarkämmchen oder Massagebällchen erworben, aber dabei kann man nicht so
viel falsch machen, wie bei einem kompletten Outfit. Einige Sender sind sehr engagiert, was
das bildhafte Beschreiben und das Bedrucken von Produkten mit Punktschrift betrifft, da sie
den blinden Käufer als potentiellen Kunden entdeckt haben. Bei Kosmetikabpackungen
weiß ich das sehr zu schätzen. Nennens- und empfehlenswert sind an dieser Stelle
auch die Hilfsmittelvertriebe, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ein reichhaltiges
Warenangebot speziell für blinde und sehbehinderte Menschen zusammenzutragen,
welches das Leben eines Betroffenen entlasten oder bereichern kann. Neben den
gängigen lebenspraktischen Helfern, finden sich häufig viele schöne
Kleinigkeiten zum Genießen. Ich erhalte diese Spezialkataloge in Punktschrift oder auf Band
und suche mir hin und wieder das ein oder andere Hörbuch, eine neue Teesorte oder
ein tastbares Gesellschaftsspiel aus. Es ist in diesem Zusammenhang eben nur wichtig,
dass der Shopping-Sender oder der Hilfsmittelkatalog nicht zum besten Freund eines blinden
Menschen wird und dass letzterer auch andere Möglichkeiten findet, sich
erwünschte Produkte zu erschließen.
Ich persönlich bin sehr interessiert an Messen und Modenschauen. Bei Modemessen
habe ich die Möglichkeit, eine riesige Auswahl an Outfits zu betasten, die
normalerweise in dieser Vielfalt nur in Katalogen abgebildet werden und meiner
Wahrnehmung vorenthalten bleiben. Total begeistert bin ich von Ankleidepuppen, denn
durch jene leblosen Freunde erhalte ich die Chance, diverse Outfits auch getragen zu
begutachten, am Körper. So eine Puppe stört sich nicht daran, wenn ich immer
und immer wieder über ihr Dekolleté streiche, um z. B. die Gestaltung eines
Rüschendetails zu erfühlen. Es ist mitunter entscheidend zu wissen, wie
bestimmte "Kompositionen" an anderen Menschen aussehen, wie sie getragen
werden müssen, wie sie richtig sitzen. "Lebende Schaufensterpuppen" aus
meinem Freundeskreis zeigen sich auch gern bereitwillig meinen Händen. Da darf ich
dann auch schon mal eine Lady in Strapsen und sexy Unterwäsche in allen
Einzelheiten inspizieren.
Modenschauen, bei denen eben nur "geschaut" werden kann, machen mich oft
traurig. Ich habe in diesen Fällen das Bedürfnis, mir Modell für Modell mit
den Händen zu erarbeiten, um mir ein Bild machen zu können. So abwegig ist
diese Idee allerdings gar nicht. Tastbare Modenschauen, welche zusätzlich
anschaulich kommentiert werden, gibt es tatsächlich. Sie werden von engagierten
Zeitgenossen organisiert und inszeniert. Dies vollzieht sich meist in Zusammenarbeit mit
Boutiquen oder Kaufhäusern, welche auf diesem Wege ihre Mode auch an einen
blinden Kundenkreis herantragen können. Modelle, die sich für solche
Veranstaltungen zur Verfügung stellen, dürfen natürlich keine Scheu vor
intensiverer "Tuchfühlung" empfinden, denn es wird in diesem Rahmen
zwangsläufig handgreiflich.
Na, geschätzter Leser, tun dir schon die Füße weh von unserer Shoppingtour?
Wir haben es fast geschafft. Bleibt nur noch festzuhalten, dass es beim Shopping nicht nur
um Klamotten geht, denn Kleidung ist nur eine Fassette. Es gibt unzählige Dinge, nach
denen man auf die Jagd gehen kann: Gebrauchsgegenstände, Geschenke, Deko-
Artikel. Den Besuch von Geschäften, Märkten und Ausstellungen auch außerhalb
der Bekleidungsbranche weiß ich sehr zu schätzen. Die dargebotenen Produkte
werden hier für mich greifbar präsentiert, und sollten sie sich hinter einer
Glasscheibe verstecken, kann ich sie mir vom entsprechenden Händler reichen und
erläutern lassen. Ich entdecke dabei ganze Welten, nein was sage ich, ganze
"Universen". Ich neige dazu, mich mit so elementaren Dingen wie dem Erwerb
von Leinsamen-Lavendel-Wärmepantoffeln für die Mikrowelle oder Konfetti-
Dusch-Wackelpudding mit Effektschwamm zu beglücken. Ja, Frauen sind da sehr
speziell und sie glauben an die Notwendigkeit von solchen Dingen. Shopping ist für
eine Frau Balsam für die Seele, Therapie, Belohnung, Lifestyle und Unterhaltung. Es
geht auch nicht immer ausschließlich darum, etwas zu kaufen, sondern einfach darum, sich
umzuschauen, schöne Dinge zu entdecken, unterwegs zu sein, auf dem Markt der
Eitelkeiten. Und es wird noch schlimmer, geschätzter Leser, denn das war nur der
Anfang. Es gibt nämlich einen Begriff, den man schon fast als Zwillingsschwester des
Shoppings bezeichnen kann, nämlich das Styling. Ruh dich ein wenig aus, tank neue
Energie, und dann treffen wir uns vor dem unsichtbaren Spiegel und machen uns für
den ganz großen Auftritt bereit …