Messer, Gabel, Schere, Licht

Foto von Peru John: Jennifer Sonntag, blutverschmiert

(Die lebenspraktischen Fertigkeiten)

Messer, Gabel, Schere, Licht, sind für einen Blinden nicht?

Lieber Leser, jetzt wird es gefährlich! Die Messer sind gewetzt und das Feuer ist entzündet. Aber ich verspreche dir, ich werde in diesem Kapitel alles dafür tun, dass wir uns nicht schneiden oder gar verbrennen. Du bist hier in einem Schnupperkurs für lebenspraktische Fertigkeiten (LPF) angekommen. Ich werde dir zeigen, welche Bewältigungsstrategien im Umgang mit häuslichen Gefahrenquellen zum Einsatz kommen, wenn das Sehvermögen nicht kontrollierend einwirken kann. Auf unserem Stundenplan steht also nun ein waschechtes LPF-Training, welches neben dem Erlernen der Punktschrift und der Schulung in Orientierung und Mobilität zu den drei Grundbausteinen der Elementarrehabilitation visuell eingeschränkter Menschen gehört.

Mit Hilfe lebenspraktischer Fertigkeiten lernen hochgradig sehbehinderte und nicht sehende Kursteilnehmer, ihren Alltag weitestgehend selbständig zu bewältigen. Ich kenne von mir selbst den Anspruch, perfekt funktionieren zu müssen und den Stolz, mir nicht helfen lassen zu wollen. Für mich ist es wichtig, mir Tricks und Kniffe zu erarbeiten, die mich in meinen Handlungsweisen so frei wie möglich machen. Spezielle Handgriffe, Verhaltensstrategien und Hilfsmittel erlauben es mir, meine Lebensqualität zu erhalten oder wiederzuerlangen.

Ich musste jedoch erst lernen, keine utopischen Erwartungen an mein Funktionieren zu stellen. Selbstständig sein meint nicht in jedem Fall, alles selber zu machen, wenn dies einen unangemessen großen Aufwand bedeutet oder gar unmöglich ist. Vielmehr soll der Betroffene die Möglichkeit gewinnen, selbstbestimmt zu handeln, und dies kann notfalls auch bedeuten, einmal um Hilfe zu bitten. Mit Selbstbestimmung ist allerdings keinesfalls die "Versklavung" der sehenden Mitmenschen durch den Blinden gemeint. Hier ist der goldene Mittelweg meist die gesündeste Verfahrensweise. Ein blinder oder erblindender Mensch sollte sich selbst weder unter- noch überfordern und sich von seinen Mitmenschen weder unter- noch überfordern lassen.

All zu oft neigte ich dazu, mich an Unerreichbarem zu orientieren. Da gab es nun die großen Vorbilder: eine erfolgreiche blinde Sportlerin, eine nicht sehende Studentin, welche in Tibet eine Blindenschule aufbaute, eine singende Blinde am Popstarhimmel, eine blinde Mutter dreier Kinder. Und ich konnte mir noch nicht einmal ohne weiteres eine Tasse Tee aufbrühen. Diese Herangehensweise ist natürlich schlicht weg falsch. Step by step muss das Prinzip lauten. Wenn man selbst nicht den Fehler begeht, sich mit konstruierten "Wunderblinden", die ja so viel besser zurechtzukommen scheinen als man selbst, zu vergleichen, dann tun es leider immer noch die anderen. Aussagen wie: "Schau mal, was die alles erreicht hat!, oder: "Andere kommen doch wunderbar zurecht mit ihrer Blindheit. Da musst du dich eben mal zusammenreißen!" treten nicht selten auf. Dabei trügt der Schein auch hier. Natürlich haben auch Vorbilder Schwächen und gerade deshalb werden sie erst zu wahren Idolen.

Es wäre schließlich ungesund, sich an unrealistischen Illusionen zu messen, die durch Medien geschaffen wurden. Blinde Menschen sind so unterschiedlich wie sehende. Jedes Persönlichkeitsprofil ist ganz speziell, ist von anderen Eignungen und Neigungen, anderen körperlichen, geistigen und seelischen Voraussetzungen, anderen Erfahrungen und Beweggründen beeinflusst. Entscheidend kann auch der Zeitpunkt oder der Verlauf einer Erblindung sein.

Mir haben oft betroffene junge Frauen und Männer gestanden, dass sie großen Respekt vor mir hätten. Sie fühlten sich unselbstständiger und minderwertiger, da sie glaubten, ich sei auch eine von diesen Wunderblinden, deren Leben wie ein Hochglanzmagazin aussieht.

Man hatte ihnen von meiner stolzen Gangart berichtet, von meinem ausgefallenen Kleidungsstil, von meinem beruflichen Werdegang, von meiner Medienpräsenz und meinem Engagement in spannenden Projekten. Auch meine selbstbewusste Ausstrahlung wurde nicht vergessen. Und all zu gern lass ich diese schillernde Seifenblase zerplatzen. Ich bin immer wieder froh, in unseren Gesprächen den Unglücklichen schnell den übergestülpten Glauben an mein Perfektsein nehmen zu können. Natürlich will ich ihnen Mut machen und ihnen vermitteln, dass sie ebenfalls eine Menge erreichen können. Aber ich möchte ihnen vor allem sagen, dass man dies nur schafft, wenn man seine Potenziale nutzt und dabei seine Defizite akzeptieren lernt. Es ist entscheidend, was man kann, nicht was man nicht mehr kann. Man schadet sich und seiner Seele, wenn man sich krankhaft über die Dinge definiert, zu denen man nicht mehr in der Lage ist. Diese Unternehmung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Erfolgversprechender ist es doch viel mehr, die vorhandenen Voraussetzungen zu nutzen und zu optimieren.

Ich gebe gern zu, nicht vollkommen zu sein. Auch ein Sehender ist nur auf bestimmten Gebieten ein Profi. Außerdem halte ich wenig von selbsternannten Multitalenten. Sie stecken zwar gern überall ihre Finger hinein, haben aber dann keine Hand mehr frei, um eine Sache wirklich kompetent "anzufassen". Ein befreundeter Heilpraktiker gab mir diesbezüglich einmal einen sehr symbolischen Satz mit auf den Lebensweg. Ich litt derzeit sehr darunter, immer nur einen Krümel vom großen Kuchen abzubekommen. Ich wollte so viel von allem, wollte mein sehendes Leben zurück, aber meine Augen ließen mich nicht. Da sagte jener Heilpraktiker zu mir: "Kehr deine Einstellung um. Sieh es doch mal so: Während die meisten Menschen nur schmutziges Wasser trinken, schlürfst du den teuersten Champagner."

Ich erkannte also, dass ich die Dinge, die ich tat, sehr intensiv und tiefgründig erledigte. Dadurch konnte ich vor mir selbst ehrlicher und echter sein. Einige Menschen neigen dazu, nur oberflächlich Staub zu wischen und nicht in die Tiefe zu gehen. Sie gehören zu jenen Zeitgenossen, die auf allen Hochzeiten tanzen wollen und sich dabei verzetteln und verstricken. Was nützt es mir aber, von allem nur einen unzureichenden Fetzen abzureißen, wenn ich mir im Gegenzug ein "Sinn"-volles Ganzes kreieren kann. Ja, in einem gewissen Maße ist es gesund, oberflächlich zu sein, denn permanente Tiefgründigkeit kann die Kapazität des menschlichen Gehirns psychologisch betrachtet gar nicht gewährleisten. Die Fähigkeit selektiv wahrnehmen zu können, schützt den Menschen vor einer permanenten Reizüberflutung. Aber gerade deshalb besteht der Trick darin, sich nur auf einige wesentliche Anforderungen zu konzentrieren, um sie wirklich erfolgreich bewältigen zu können. Das gilt für "Guckis" und "Blindgänger" gleichermaßen.

Es macht mir heute relativ wenig aus, dass ich eben nur auf den von mir erschlossenen Gebieten gut bin und ein anderer auf seinem. Manchmal unterliegen "Blindgänger" dem Irrglauben, ein "Gucki" sei ein Alleskönner, nur weil er sieht. Aber es gibt so viele vermeintlich gesunde Menschen, die nichts aus ihren Möglichkeiten machen, deren Köpfe blind und taub sind für die Welt, die in bunten Farben und Klängen vor ihrer Haustür liegt. Du lieber Leser gehörst nicht dazu, denn du hast dich freiwillig auf diese Lektüre eingelassen. Jeder Mensch kann mit der richtigen Entscheidung und Einstellung ein erfülltes Leben führen, ohne dabei falschen Idealen hinterher jagen zu müssen.

Ich erlebe oft, dass einige Zeitgenossen schnell dabei sind, über andere zu urteilen und dass sie sehr ungerecht und anmaßend werden können. So manch Blinder muss sich dann sagen lassen, dass er zu unselbstständig sei, zu fordernd oder zu phlegmatisch. Hier sollte immer erst der Hintergrund beleuchtet werden, bevor leichtfertig eine solch verletzende Alltagsdiagnose gestellt wird. Ein einfaches Beispiel: Sehende, die nicht gern kochen, werden deshalb nicht generell als unmotiviert oder träge bezeichnet. Kocht ein Blinder nicht gern, weil es einfach nicht sein Ding ist, neigt die Außenwelt schnell dazu, ihm Unselbstständigkeit zu unterstellen. Gehen sehende Mädels in der Disco zusammen aufs Klo, ist das ganz normal. Für Frauen ist die öffentliche Toilette schließlich so was wie ein unentbehrliches Begegnungsfeld zum Näschen pudern, Korsage nachschnüren, gnadenlosen Tratschen, Ausheulen und Krisenintervinieren. Geht aber eine Blinde mit ihrer Freundin zur Toilette, unterstellt man ihr auch hier die gern bemühte Unselbständigkeit. Man maßt sich an zu wissen, was für den anderen gut ist: "Na die muss aber alleine" oder "Der muss das aber lernen, der will nur nicht". Natürlich ist ein Hilfesuchender, behindert oder nicht behindert, dankbar für einen sinnvollen Hinweis oder einen angemessenen Ratschlag. Überhebliche Bemerkungen irgendwelcher Schlaumeier sind jedoch absolut verzichtbar, oder?

Ich bestreite nicht, dass es nicht jeder Blinde gleichermaßen gut schafft, sich zu motivieren. Allerdings verurteile ich das nicht, denn eine Erblindung ist und bleibt nun mal ein außergewöhnlicher Zustand, der auf verschiedene Weise bewältigt werden kann. Ich gebe jedoch allen Betroffenen den Garantieschein dafür in die Hand, dass sie mit mehr Selbstbestimmung zu mehr Selbstbewusstsein und Zufriedenheit gelangen können. Da Blindheit sehr viel Konzentration und Energie fordert, kann es leicht zu einer motivationalen Überlastung kommen. Diese ist nicht in jedem Fall mit Trägheit oder gar Faulheit gleichzusetzen. Ein engagierter blinder Mensch kann im Grunde nie wirklich faul sein. Einfachste Tätigkeiten werden oft aufgrund des fehlenden Augenlichts zu harter Arbeit. Leider kommt es all zu oft vor, dass ein Betroffener, welcher gerade dabei ist, sich mit seiner neuen Lebenssituation zu arrangieren, immer wieder massive behördliche und zwischenmenschliche Steine in den Weg gelegt bekommt. Dadurch sind Rückfälle in depressive Gefühlstäler vorprogrammiert. Als Sozialpädagogin gerate ich an dieser Stelle in eine Zwiespältigkeit. Einerseits möchte ich benachteiligte Menschen befähigen, sich selbst zu finden und sich angemessene Hilfen zu organisieren. Zur Rehabilitation gehört jedoch die Inanspruchnahme diverser Mittel. Und diese müssen eben buchstäblich einge"fordert" werden. Wie findet der Betroffene also nun die Balance zwischen devotem Bittstellertum und selbstbewusster Inanspruchnahme? Natürlich ist der Umgangston entscheidend. Dieser kann sich bei dem ein oder anderen Betroffenen hin und wieder vielleicht einmal verschärfen, wenn er permanent das Gefühl hat, als Mensch zweiter Klasse behandelt zu werden. Ein von Ausgrenzung und Ablehnung belasteter Zeitgenosse kann unter Umständen sehr direkt oder verbittert wirken. Meinem Charakter entspricht diese Reaktion nicht, aber ein bescheidenes Duckmäusertum ist auch der falsche Weg. Ich verstehe Menschen, die einfach keine Kraft mehr haben und irgendwann mit der Faust auf den Tisch hauen. Aber ich habe auch meine Befindlichkeiten, wenn ich behinderten Leuten begegne, die glauben, sie seien der Mittelpunkt der Welt und alles müsse sich auf der Stelle nur um sie drehen.

Ich möchte festhalten, dass die Verhaltensweisen eines Menschen, welcher sich in einer besonderen Lebenslage befindet, reflektiert und hinterfragt werden sollten. Es kann ein langwieriger Prozess sein, sich ein Bild von einer Person zu machen. Nicht selten muss man die eigene Meinung revidieren, da man feststellte, dass man mit seiner Einschätzung nicht ganz richtig lag. Und selbst wenn es gelang, ein angemessenes Persönlichkeitsprofil von einem Betroffenen zu erstellen, kann Niemand einem anderen Menschen sagen, was gut für ihn ist und welchen Weg er zu gehen hat. So können auch die lebenspraktischen Fertigkeiten immer nur ein gut gemeintes Angebot sein. Wer dieses Angebot annimmt, wird es als absolute Bereicherung empfinden. Es obliegt jedoch letztlich jedem selbst, wie er sein Leben managt und die Dinge handhabt.

Gerade die kleinen Dinge des Alltags haben oft eine große Wirkung, im negativen, wie im positiven Sinne. Ein winziges Problem kann, wenn es falsch angepackt wird, zu einem riesigen Konflikt heranwachsen. Ebenso können minimale Handgriffe eine wertvolle Lösungsstrategie darstellen. Die Probleme und die Problemlösung liegen also häufig im Detail. Effektivität erfordert viel Fingerspitzengefühl. Große Geschütze müssen häufig gar nicht erst aufgefahren werden, wenn man die Feinheiten durchschaut. Deshalb sind lebenspraktische Helfer auch nicht offensichtlich. Im Gegenteil, sie sind so versteckt, dass sie dem Sehenden häufig weder auf den zweiten, noch auf den dritten Blick auffallen. Darin liegt auch eine Gefahr, denn all zu oft bringt ein ahnungsloser "Gucki" ungewollt das Bewältigungskonzept eines "Blindgängers" durcheinander. Man muss sich das manchmal so ein wenig wie in der Welt der Elfen und Trolle vorstellen.

Die kleinen Elfen spinnen feine Glitzerfädchen, um sich in bestimmten Territorien besser orientieren zu können, hängen kleine Wassertropfen an Sträucher und Gräser, um diese zu markieren, oder lassen die Glockenblumen erklingen, um etwas zu signalisieren. Dann kommen die Trampeltrolle, und "latschen" alles nieder. Ich gebe zu, es ist schon etwas vermessen, mich als feinfühlige Elfe und manche "Guckis" als stumpfsinnige Trampeltrolle zu bezeichnen. Aber lass dir sagen, lieber Leser, auch ich bin manchmal einer von den Trampeltrollen, auf Gebieten, in denen ich mich nicht auskenne. Oft ahnt man eben nicht, dass man gerade sensibel wie eine Dampfwalze über die zarte kleine Welt eines Mitmenschen hinweggerollt ist.

Wenn du magst, geschätzter Leser, flattern wir zusammen als neugierige Elfen mit viel Fingerspitzengefühl, gespitzten Ohren und aufmerksamen Nasen durch mein Alltagsleben und entdecken all die kleinen Tricks und Kniffe, die einem blinden Menschen hilfreiche Dienste leisten. Nicht jeder "Trick" und nicht jeder "Kniff" will entdeckt werden, denn einige sind sehr persönlich, aber manche von ihnen stehen schon ganz vorn in der Wartereihe und wollen sich dir unbedingt vorstellen. Auch in diesem Kapitel ist mir wichtig, für den Blindenbereich ganz allgemeingültige, aber auch für mich besonders spezielle Handhabungen vorzustellen. Vielleicht kann ich in diesem Rahmen auch dem ein oder anderen Betroffenen einen hilfreichen Tipp mit auf den Weg geben. Sehende Leser möchte ich animieren, einige Vorgehensweisen selbst einmal unter der Augenbinde zu erproben. Erst dann werden meine Beschreibungen wirklich begreifbar.

Das Gewürzregal

Nun aber auf in die Küche, interessierter Leser. Sie stellt nämlich ein wahres "Trick- und Kniffparadies" dar. Hier tummeln sich die meisten von ihnen.

Grundsätzlich ist in diesem Raum, wie auch in jedem anderen, jeglicher Inhalt systematisch organisiert. Regale, Schubladen und Schrankfächer lassen sich in verschiedensten Sortierungen und nach festgelegten Themengebieten bestücken. Alles muss einen festen Platz haben. Wirre Stapelbildungen und Schichtungen von Utensilien sind nicht zu empfehlen. Alles sollte so eindeutig wie möglich positioniert sein. Ein anschauliches Beispiel für ein blindenspezifisches Ordnungssystem im Haushalt ist mein Gewürzregal, welches in Form eines großzügigen Abstellbrettes Einzug in meine gemütliche Küche hielt. Darauf kann ich verschiedenste Behältnisse und Gefäßchen zweckmäßig nebeneinander platzieren. Da die Gewürze stets in derselben Reihenfolge stehen, kann ich bei Bedarf rasch und gezielt auf das Gewünschte zugreifen. Hat mir jedoch ein "Gucki" die Reihenfolge durcheinander gebracht, muss ich andere Kontrollmechanismen walten lassen, um nicht den als Zucker-Zimt-Komposition konzipierten Milchreis mit Pfeffer zu verfeinern.

Manchmal geben die Formen der Gewürzdöschen Aufschluss. Hin und wieder rüttele und schüttele ich auch an dem einen oder anderen Gefäß, um herauszuhören, welchen Inhalt es verbirgt. Probier es ruhig einmal in deiner eigenen Küche aus, aufmerksamer Leser. Pimentkörner z. B. klingen anders als Lorbeerblätter, Kardamomkapseln anders als Gewürznelken usw.

Mein Faible für exotische Gewürze verstärkte sich erst, nachdem meine anderen Sinne sehen lernten. Bei der Auswahl von Streugewürzen sollte man sich auf einen Standardstreuer festlegen, dessen Ausschüttung man einschätzen kann. Es ist empfehlenswert, sich immer wieder auf denselben Anbieter zu beziehen, da man beim Erwerb eines neuen Gewürzstreuers nicht umlernen muss. Bei Streuern, die man kennt, weiß man mit der Zeit, wie oft man Schütteln muss, um die gewünschte Menge in die Speise zu bringen. Ich persönlich streue mir jedoch das Gewürz lieber in die Hand, um die Dosierung besser abschätzen zu können. Empfehlenswert sind kleine flache Schraubgläser und Becherchen. Hier können die Finger eintauchen und einen direkten Kontakt zum Gewürz aufnehmen. Auf eine, selbst mit den Fingerspitzen entnommene Brise, kann man sich am besten verlassen. Problematisch sind in diesem Zusammenhang leider nasse Fingerspitzen. Man sollte, bevor man in das Pulver eintaucht, stets die Hände an einem Küchentuch getrocknet haben, denn sonst klebt der Großteil der Würzung an der Haut fest.

Da ich eine kleine Kräuterhexe bin, zum Glück noch ohne Warze auf der Nase, erfreue ich mich sehr an aromatisch duftenden Rosmarin-, Salbei, Basilikum- oder Thymiansträußchen. Getrocknete oder frische Genusspflanzen können olfaktorische Orientierungspunkte schaffen. An meinem Kopfende im Schlafzimmer duftet z. B. ein Bündchen Lavendel. Je intensiver es duftet, desto näher komme ich meinem Bett. Dieses Prinzip lässt sich auf sämtliche Räume übertragen.

Der Umgang mit kalten und heißen Getränken

Lass uns, neugieriger Leser, nun einmal in mein Teeregal schnuppern. Wir waren ja ohnehin gerade dabei, unsere Nasen zu bemühen. Der "Schnupperkurs" in lebenspraktischen Fertigkeiten soll ja schließlich seinem Namen gerecht werden.

Ich bin eine leidenschaftliche Teegenießerin und beherberge ein halbes Teegeschäft in meiner Küche. Die verschiedenen Sorten erkenne ich entweder an der Art der Verpackung oder am Geruch, manchmal auch an der Konsistenz. Da ich aber nicht jede Abpackung öffnen will, um eine sichere Sortenzuordnung treffen zu können, habe ich die einzelnen Tüten und Schachteln mit Punktschriftstreifen markiert. Diese fixiere ich entweder mit einer Büroklammer oder speziellen Klebetapes.

Besonders schwer zu identifizieren sind Arzeneitees, da deren Beutelchen meist noch einmal einzeln eingeschweißt sind. So bleibt der Duft oft eingesperrt und ich erkenne die gewünschte Sorte nicht mit der Nase. Es ist sehr hilfreich, dass inzwischen einige Anbieter Verpackungen von medizinischen Teesorten mit einem Punktschriftaufdruck versehen.

Zum Aufbrühen des Tees benutze ich einen Plastikfilter mit breitem Rand und großzügigem Fassungsvermögen. Dieser Filter passt sowohl in eine einzelne Teetasse, als auch in Kannen verschiedenster Größen. Für den Küchenbedarf gibt es grammspezifische Portionierlöffelchen, welche dabei helfen, diverse Substanzen präzise zu dosieren. Meist handle ich jedoch nach Gefühl und Erfahrungswerten. Wichtig ist nur, dass der "Schöpflöffel" einen hohen Rand besitzt, welcher das Teepulver fest umrahmt. Teelöffel sind zu flach und lassen oft einen großen Teil der "Ladung" über Bord rieseln. Manchmal benutze ich auch ein Tee-Ei, welches gleichzeitig die Funktion eines Filters und zweier Löffelhälften vereint. Papierfilter lassen sich zwar gut befüllen, saugen sich aber häufig bis zum Rand voll Wasser und beginnen zu tropfen. Ein Halterungsring, ähnlich wie beim klassischen "Teestrumpf" kann dabei helfen, den Filter tropffrei zu fixieren.

Ich bleibe allerdings beim erwähnten Plastikfilter und bestücke ihn mit dem Rosenknospentee, welchen ich extra für dich ausgewählt habe, lieber Leser. Nun geht’s ans heiße Wasser. Hier gilt es, sehr konzentriert zu agieren. Ich empfehle folgende Arbeitsschritte, damit es nicht zu schmerzhaften Verbrühungen kommt. Zunächst sollte die Kanne mit kaltem Wasser gefüllt werden, um die nötige Menge abzumessen. Randvoll darf sie nicht sein, denn das Volumen des gefüllten Teefilters muss mit einkalkuliert werden. Nun wird das kalte Wasser in den Wasserkocher umgeschüttet und zum Blubbern gebracht. Wasserkocher, welche von außen sehr heiß werden, sind nicht zu empfehlen. Wenn das heiße Nass nun dampfend durch den Filter in die Kanne zurück gegossen wird, besteht nicht die Gefahr des Überlaufens. Schließlich wurde ja die Füllmenge bereits im Vorfeld festgelegt. Der breite Filterrand ist notwendig, um ein Daneben schütten zu verhindern. Zur Sicherheit platziere ich persönlich die Kanne zusätzlich in der Spüle, damit auch wirklich nichts danebengeht.

So, durstiger Leser, gleich können wir das Gebräu genießen. Vertrau meiner Intuition. Ich entscheide stets nach Bauchgefühl, wann der Tee durchgezogen ist. Jede Sorte besitzt eine andere "Seele". Ach ja, apropos Seele. Ich bin der Meinung, dass Zucker die Seele des Tees zerstört, aber du kannst gern welchen haben. Kandiszucker kann man gut mit den Händen abzählen. Falls du Milch benötigst, würde ich dir empfehlen, sie vor dem Eingießen in der Tasse zu platzieren. Als Blinder jedenfalls kann man schlecht einschätzen, wie viel Raum die erst im Nachhinein zugegebene Milch einnimmt. Schnell kommt es dann zum Überlaufen. Also, möglichst Milch und Zucker immer zuerst in die Tasse geben, und dann Tee oder Kaffee darauf.

Wo ich doch gerade beim Kaffee angekommen bin, möchte ich auch das Zubereiten dieses sinnlichen Getränkes nicht außer Acht lassen. Wahre Kaffeegenießer legen großen Wert auf den Vorgang des Aufbrühens. Kaffeemühlen und Kaffeemaschinen gibt es in den unterschiedlichsten Ausführungen. Entscheidend ist, dass sich der nicht sehende Benutzer in die Handhabung der erforderlichen Utensilien eintastet. Leider gibt es auch hier keine Standards und ein Blinder, welcher mit seiner gewohnten Maschine den gelungensten Kaffee kocht, kann diese Fertigkeit nicht automatisch auf ein andersartiges Gerät z. B. im Büro des Chefs übertragen. Wassermengen können in jedem Fall mit Hilfe abgezählter Tasseninhalte kalkuliert werden, falls die aufgebrachten Skalen nicht zuverlässig fühlbar sind. Manchem liegen patentierte Kaffeekannen, die gleichzeitig als Kaffeemaschine mit integrierter Filtervorrichtung dienen. Wer keinen gehobenen Wert auf derartige Zeremonien legt, dem genügt vielleicht auch der praktische Instantkaffee zum Einrühren oder der Automatenkaffee. Getränkeautomaten allerdings sind in den seltensten Fällen mit Punktschrift ausgestattet und müssen in Aufbau und Funktionsweise auch zunächst vom Betroffenen verinnerlicht werden. Displaylastige Exemplare lassen sich häufig überhaupt nicht blind nutzen.

Aber zurück zum Tee. Wir waren ja gerade dabei, uns ein Tässchen davon einzugießen, lieber Leser. Das Eingießen von Getränken ist im Grunde eine Wissenschaft für sich. Beim Dosieren von Kaltgetränken dient der Finger als Füllstandsanzeiger. Er wird über dem Tassenrand eingehängt und erkennt somit die herannahende Flüssigkeit. Allerdings funktioniert dies nicht bei Getränken, welche der Körpertemperatur gleich sind. Außerdem wird der Finger ohnehin unsensibler, wenn er mehrmals kurz hintereinander als Füllstandsanzeiger genutzt wurde. Das liegt daran, dass er zwangsläufig seine Temperatur der des Getränks angepasst haben wird.

Wer sein Geschirr kennt, automatisiert bestimmte Füllmengen im Laufe der Zeit. Ich persönlich weiß beispielsweise, wie stark ich unter welchen Bedingungen, ich welche Kanne anschrägen muss, wie welches Glas im Verhältnis zu einer vollen Flasche gehalten werden sollte usw. Außerdem ist am Eingießgeräusch zu erkennen, wie sich ein Gefäß allmählich füllt. Auch der Gewichtssinn wirkt unterstützend. Je voller, desto schwerer. Bei unbekanntem Geschirr ist das schon problematischer. Manche Gläser besitzen einen massiven schwerwiegenden Boden. Oft bin ich dann, vorwiegend in Gaststätten, der Meinung, mein Glas sei noch schön voll. Derweil war es nur das Glas, welches schwer wog, nicht die Flüssigkeit darin. All zu oft saß ich, wenn das Menü kam, dann auf dem Trockenen. Übrigens ist es immer ratsam, einen blinden Gast über die Beschaffenheit seines Drinks zu informieren. Vor allem in Bars werden oft Cocktails mit zwei Strohhalmen gereicht. Dabei besteht die Gefahr, dass sich der Unwissende einen der Halme ins Auge sticht. Natürlich war der Blinde schon vorher blind, doch eine tiefgreifende Augenverletzung ist auch für ihn nicht angenehm.

Aber wir waren beim "Tee-ma" Tee. Wie funktioniert das Eingießen nun bei heißem Tee, durstiger Leser? Fingerspitzen mögen es nicht, verbrüht zu werden. Sie müssen schließlich unter anderem zum Ertasten der Punktschrift unversehrt bleiben. Nun, man muss ja nicht warten, bis der Finger im kochenden Wasser brodelt, sondern versucht, den aufsteigenden Dampf zu erspüren. Nach ein wenig Übung lässt sich erahnen, wann der Gießvorgang beendet werden sollte. Wer will, kann auch die Tasse von außen betasten um festzustellen, auf welche Höhe die heiße Flüssigkeit bereits herangestiegen ist. Hantiert man mit unbekannten Gefäßen, ist folgende Herangehensweise ratsam: Zunächst werden die Beschaffenheiten von Trinkgefäß und Getränkebehältnis (Kanne, Flasche, Tetrapack) taktil analysiert. Besonders wichtig sind hierbei Verlauf und Länge des Ausgusses (Tülle, Flaschenhals). Auch die Ausgussbreite bei aufgeschnittenen Getränkepappen ist zu prüfen. Vor dem Eingießen können Kannendeckel beiseite gelegt werden, da sie während des Gießvorganges von der Kanne fallen können. Das Trinkgefäß darf beim Eingießen niemals über den Körper gehalten werden. Es sollte fest auf der Tischplatte stehen. Um eventuell überlaufende Flüssigkeit auffangen zu können, kann unter dem Glas oder der Tasse ein tiefer Teller platziert werden.

Beim Eingießen mit einer Kanne ist es oft leichter, die Tasse dicht an den Tischrand zu stellen und die Kanne mit der Tülle vor dem Tisch in Tassenhöhe zu halten. Die Kanne muss dabei nicht so stark gekippt werden, als wenn sie von der Tischplatte aus bedient werden würde. Beim Eingießen wird in jedem Fall das Trinkgefäß mit Daumen und Mittelfinger festgehalten. Möchte man den Füllstand nun nicht mit dem eigenen Finger kontrollieren, bietet sich eine Alternative, der Füllstandsanzeiger. Darunter ist ein kleines, batteriebetriebenes Hilfsmittel zu verstehen, welches in eine Tasse oder ein Glas eingehängt werden kann. Drei dünne Metallzinken dienen als Sensoren. Sobald die eingegossene Flüssigkeit die Sensoren erreicht, beginnt das Gerät zu piepen und warnt somit vor dem Überlauf.

Eine echte Herausforderung ist es für mich, volle Tassen zu transportieren. Geradehalten funktioniert nahezu ausschließlich durch die Koordination von Auge, Hand und Umgebung. Kann man aber kein optisches Verhältnis zur transportierten Flüssigkeit aufbauen, herrscht in so mancher Kaffeetasse und in so manchem Suppenteller starker Seegang. Nicht selten blanchierte ich mir auf diese Weise die Hand, dekorierte Kleidung und Teppichböden mit unatraktiven Flecken und war hinterher mit der Gesamtsituation alles andere als glücklich. Es gibt die Möglichkeit, die zu balancierenden Gefäße nicht so voll zu machen oder Geschirr mit Deckel zu benutzen. Jedes "Transportgut" sollte nacheinander überführt werden. Tabletts sind nicht zu empfehlen, da hier kein direkter Kontakt zu den Einzelheiten hergestellt werden kann. Sinnvoll ist es auch, heikle Flüssigkeiten erst am Zielort einzufüllen. Ich für meinen Teil habe mich dafür entschieden, meine Jonglier-Karriere aufzugeben und bitte meine Gäste nun meist, sich selbst zu bedienen. Bin ich doch einmal mit einer vollen Tasse unterwegs, platziere ich meine Hand abdeckend auf den Rand und erspüre den Schiefstand, wenn der Inhalt meine Haut berührt.

Befinde ich mich in Gesellschaft, genieße ich es, wenn mir jemand ein Glas Wein eingießt. Das hat nichts mit Bequemlichkeit meinerseits zu tun. Ich weiß ja, dass ich es auch allein kann, wenn es darauf ankommt. In der "Sensorischen Welt" des BFW Halle begleite ich regelmäßig spezielle Weinverkostungen, welche bei vollkommener Dunkelheit durchgeführt werden. Bei solchen Anlässen muss ich eine Gruppe von 15 Personen möglichst unfallfrei mit sechs verschiedenen Weinsorten versorgen und ihnen aus allen möglichen und unmöglichen Positionen nachschenken. Wenn sich jeder Teilnehmer nach dem festgelegten Orientierungsschema richtet, funktionieren die Abläufe ohne umgeschüttete Gläser oder gar Scherben. Ich selbst stoße ohnehin selten etwas um, wenn ich mich im Rahmen meiner Ordnung bewege. In meinen eigenen vier Wänden musste ich feststellen, dass vorwiegend männlicher "Gucki"-Besuch ein ausgeprägtes Talent dazu mitbringt, den Kirschsaft auf dem Tischtuch zu verteilen oder unschuldige Kristallgläser zu zerstören. Mancher zelebriert den Polterabend eben schon vor dem eigentlichen Kennenlernen.

Kriterien zur Bedienbarkeit von Haushaltsgeräten

Haushaltsgeräte aller Couleur sind dazu gemacht, dem Menschen den Alltag zu erleichtern. Leider beziehen sich die gut gemeinten Erleichterungsabsichten oft ausschließlich auf den "Gucki". Moderne Technik ist häufig extrem displayorientiert und bedient sich der visuellen Menüführung. Eindeutige Zuordnungen werden nicht selten durch Funktionsüberlagerungen erschwert, wenn z. B. eine Taste mehrere Optionen verwaltet. Ich werde für dich, lieber Leser, einige besonders relevante Haushaltsgeräte auswählen, an denen ich dir verdeutlichen möchte, wie blinde Menschen sich trotz der Erschwernisse die erforderlichen Bedienungsabläufe erschließen können.

Die Küche ist geradezu prädestiniert für Unfälle im häuslichen Milieu. Dort befindet sich nicht nur der heiße Herd, sondern verschiedenste Küchenmaschinen, welche aufgrund ihrer Rotation, Schärfe oder Hitze nicht ganz ungefährlich sind. Taktil nicht erkennbare Bedienelemente können zur besseren Wahrnehmbarkeit für den blinden Nutzer mit Tastpunkten markiert werden. Auch die Verwendung von Konturenpaste kann hilfreich sein. Leider ist diese nicht sehr haltbar und greift sich schnell ab. An dieser Stelle ist Kreativität gefragt. Da vor allem im Küchenbereich mit Hitze und Feuchtigkeit gearbeitet wird, müssen möglichst haltbare Markierungsvarianten gefunden werden. Erhabene Applikationen sind oft besser tastbar als Vertiefungen wie z. B. Gravuren. Ob Herd, Mikrowelle, Heizungsregler oder Sicherungskasten, in meiner Wohnung finden sich zahlreiche unscheinbare Tasthinweise.

Da viele Einstellungen, auch die diverser Herde, stufenlos regulierbar sind, kann das Ohr leider kein orientierendes Einrasten vernehmen. Flächige Berührungssensoren sind gänzlich ungeeignet, da mit dem Finger gezielt auf ein optisches Symbol getippt werden muss. Der Tastsinn eines blinden Menschen benötigt jedoch eindeutige, fühlbare Strukturen jedes einzelnen Schalters oder Knopfes. Knöpfe, welche beim Ein- oder Ausschalten nicht ein- oder ausrasten erweisen sich als ebenso ungünstig, da für einen Blinden nicht erkennbar ist, ob das Gerät aktiviert wurde oder nicht. Kontrolllämpchen bleiben für ihn unsichtbar. Ich selbst muss in solchen Zweifelsfällen das beanspruchte Gerät aufmerksam beobachten um festzustellen, ob ich es zum Leben erweckt oder schlafen gelegt habe. Einige erzeugen Geräusche, andere beginnen Wärme abzugeben, wieder andere zeigen leichte Vibrationen und manche verursachen einen markanten Geruch.

Nun höre ich dich sagen, geschätzter Leser, dass es doch jetzt schon so viele Dinge im Handel gäbe, die sprechen oder piepen können oder irgendwie tastbar sind. Erst kürzlich argumentierte einer meiner sehenden Seminarteilnehmer wie folgt: "Aber es gibt doch sogar schon sprechende Waschmaschinen. Die hab ich im Katalog gesehen." Ja, aus irgendwelchen Gründen ist das so, dass das ein oder andere technische Gerätchen aus der "Guckiwelt" eine Sprachausgabe enthält. Diese ist jedoch leider auch den Ansprüchen und Möglichkeiten sehender Menschen angepasst und die Ansagen ergeben meist nur in Kombination mit den optischen Anhaltspunkten einen Sinn. Ein Beispiel: Es nützt einem Blinden relativ wenig, wenn eine Waschmaschine bekundet, dass ihre Tür geöffnet ist. Das kann der blinde Benutzer auch sehr gut mit dem Tastsinn herausfinden. Viel entscheidender ist es, dass alle Arbeitsschritte absolut lückenlos angesagt werden und konsequent als Leitfaden dienen müssen. Schnell wird deutlich, dass diese Geräte eben nicht mit dem Bewusstsein eines nicht Sehenden programmiert wurden. Die Sprachausgabe taugt eher zu Unterhaltungszwecken und zur doppelten Sicherheit für den Augennutzer, und weniger als blindenfreundliches Navigationssystem. Die Menüführung, auf die es ankommt, wird oft vollkommen ausgespart. Angesagt wird ausgerechnet das, was für die blinde Bedienbarkeit nicht primär notwendig ist. Ähnlich verhält es sich mit tastbaren Applikationen, welche nicht blindenspezifisch angebracht wurden. Diese funktionieren häufig nur dann, wenn sie mit Sichtinformationen verknüpft werden können.

Der "Gucki" nimmt Tasteigenschaften meist bereits visuell vorweg. Er kann sehen, ob etwas glatt, rau, elastisch oder spröde ausschaut. Auch fühlbare Grafiken oder Reliefbilder kann er mit den Augen erkennen. In meinen Veranstaltungen kehre ich dieses Prinzip gern um. Ich möchte sehenden Interessenten bewusst machen, dass es schwierig ist, Reliefs zu erfühlen, wenn man sie nicht im Vorfeld dem Auge präsentiert. Die Probanden erhalten den Auftrag, unter einer Augenbinde die ihnen angebotenen Taststrukturen zu identifizieren. Häufig gelingt es ihnen nicht, im Geiste eine optische Vorstellung vom Gefühlten zu gewinnen. Die wenigsten schaffen es, überhaupt einen Anhaltspunkt zu definieren. Sie können sich nicht entscheiden, ob das Tastrelief ein Bauwerk, ein Meerestier, eine Landschaft, ein Körperorgan oder ein abstraktes Wirrwarr darstellen soll. Dies wird meist auch nach mehreren Minuten und Hilfestellungen nicht klar. Erlaubt man den Tastenden aber einen Blick auf das rätselhafte Bild, erfassen sie in Bruchteilen von Sekunden dessen Aussage. Mit anderen Worten: Es ist ein Leichtes, eine haptische Struktur zu erkennen, wenn man sie zusätzlich sieht. Ist der Tastsinn aber vollkommen auf sich allein gestellt, benötigt er viel mehr Zeit und Konzentration um Zusammenhänge zu erkennen. Einfache taktile Vorgänge werden durch Trainingseffekte automatisiert, z. B. der morgendliche Griff zum Wecker. Auch der Sehende findet mit geschlossenen Augen den Knopf, welcher den Weckalarm verstummen lässt. Komplizierte Tastsysteme sind allerdings auf diese Weise nicht zu erfassen.

Strukturen müssen System haben. Hier verhält es sich ähnlich wie bei der sprechenden Waschmaschine. Nicht nur ein akustisches, sondern auch ein taktiles Schema muss für einen blinden Nutzer lückenlos und in sich geschlossen funktionieren und darf nicht mit dekorativen Verschnörkelungen verwechselt werden, die dem Sehenden zu Unterhaltungszwecken oder als doppelte Sicherheit dienen. Erkundet ein blinder Nutzer die Bedienelemente eines technischen Gerätes, muss dies auf eine bestimmte Weise geschehen. Entscheidend ist, dass immer vom Ganzen auf das Detail geschlossen wird, und nicht umgekehrt. Das heißt, das Gerät muss zunächst in seiner groben Kontur mit den Händen analysiert werden, so dass die grundsätzlichen Dimensionen bewusst werden. Erst dann wird ein Bezug zu den Einzelheiten herstellbar. Mir passiert es häufig, dass ein "Gucki" meinen Finger zu irgendeinem Knopf führt, um mir zu zeigen, wo ich draufdrücken muss. Wenn ich aber die Umgebung jenes Knopfes nicht kenne, werde ich ihn nicht wieder finden. Losgelöst vom Zusammenhang schwebt er für mich ins Niemandsland.

Ich benötige also immer erst einen Gesamteindruck, bevor ich die Details auf die Ganzheit beziehen kann. Bevor das Analysetasten erfolgt, muss immer erst das Orientierungstasten vorangegangen sein. Ein einzelnes Puzzleteil ergibt nur dann einen Sinn, wenn man es in einen Kontext integrieren kann. Da die Hände größere Erscheinungen nur nach und nach, also sukzessiv erfassen können, muss sehr geduldig vorgegangen werden. Simultanes Erfassen ist nur bei kleinen Gegenständen möglich. Ein Funktionsablauf wird einem Sehenden wesentlich schneller bewusst, da er ihn mit den Augen beobachten und nachvollziehen kann, ihn also visuell vorweg nimmt. Er erkennt sofort, wenn er z. B. etwas falsch herum hält, während der Tastende sich diese Eindeutigkeiten häufig erst erarbeiten muss. Es bleibt also festzuhalten, dass eine Tastmarkierung gezielt und nicht zusammenhangslos platziert sein muss und dass die Fingerspitzen nicht so ganzheitlich wahrnehmen können, wie das Auge.

Vielleicht hast du, geschätzter Leser, schon einmal bemerkt, dass die Taste der Zahl 5 auf jedem Telefon mit einem Pünktchen versehen ist. Dieses winzige Detail ist für einen Blinden sehr hilfreich, da er von dort aus einen sicheren Bezug zu allen anderen Tasten herstellen kann. Ähnlich verhält es sich bei Computertastaturen. Schau mal nach, aufmerksamer Leser, auf der Taste des Buchstaben "F" und der des Buchstaben "J" findest du ein erhabenes Markierungsstrichlein. Wer die Tastatur auswendig kennt, benötigt nur diese beiden Punkte, um sich auf dem Tastenfeld blind zu orientieren.

Es ist methodisch unklug, dem Blinden eine Bedienungsanleitung vorzulesen, die für einen Sehenden gemacht ist. Eine Gebrauchsanweisung für Blinde muss vollkommen anders aufgebaut sein. Es ist wichtig, dass derjenige, welcher einem blinden Menschen etwas erklärt, sich in dessen Bewusstsein "einfühlt", um Missverständnisse und Frust auf beiden Seiten zu vermeiden.

Wirklich eingefühlt haben sich inzwischen verschiedene Hersteller von Waschmaschinen, Herden und Mikrowellen. Sie bieten taktile Applikationen für blinde Menschen an. Auf Wunsch kann zum entsprechenden Gerät ein Tastschema hinzugeordert werden. Die relevantesten Funktionen sind als fühlbare Symbole oder Braillebeschriftungen auf einer Folie angebracht, welche in der Regel auf die übliche Bedienblende aufgeklebt werden kann. Zur bequemeren Tastbarkeit sind in einigen Fällen die entsprechenden Bedienblenden leicht angeschrägt wurden. Darüber hinaus enthalten alle Schalter eine Rasterfunktion. Sogar eine sprechende Mikrowelle ist speziell für blinde Nutzer konzipiert wurden. Wieder andere Anbieter haben ein computergestütztes Bediensystem für Waschmaschinen erstellt. Die Idee war es, das jeweilige Gerät über eine entsprechende Homepage anzuwählen, um es von dort aus steuern zu können. Natürlich bin ich unbeschreiblich dankbar für diese Entwicklungen, kann aber gewisse pragmatische Unzulänglichkeiten nicht verleugnen.

Computertechnik z. B. liegt nicht jedem. Je mehr Technik beansprucht wird, desto höher ist der Trainingsaufwand und desto unübersichtlicher der Haushalt. Wenn die Benutzbarkeit eines Gerätes von einem zusätzlichen Gerät abhängig ist, kann ein Hilfsmittel auch schnell zum Ballast werden. Die Ausstattung mit taktilen Bedienblenden hingegen ermöglicht einen direkten Umgang mit dem betreffenden Gerät. Allerdings schwingt hier die Kostenfrage nicht unerheblich mit. Die meisten Betroffenen verbleiben nach ihrer Erblindung in ihrem gewohnten Umfeld und modifizieren die bereits vorhandenen Geräte ihren Bedürfnissen entsprechend. Die Anschaffung teurer Markenprodukte und der vollständige Umbau der bestehenden Küche ist in den meisten Fällen nicht umsetzbar. Die wenigsten Betroffenen besitzen zufällig im Vorfeld eines der Geräte, welche mit den taktilen Bedienblenden kompatibel sind. Wer allerdings die Möglichkeit hat, sich grundsätzlich neu zu orientieren, sollte unbedingt in seiner Planung jene blindenfreundlichen Angebote einkalkulieren.

Egal ob die Orientierungshilfen an diversen Haushaltsgeräten nun der Marke Eigenbau entspringen oder von einer Firma installiert wurden, in jedem Fall ist eine spezifische Schulung des blinden Nutzers erforderlich. Da ein Sehender wie bereits erwähnt bei der Bedienung diverser Geräte meist zusätzlich eine optische Bestätigung für sein Handeln bekommt, muss er selten bewusst seine Vorgehensweisen auswendig lernen. Beim Blinden ist das anders. Sein Gehirn muss sämtliche Abläufe speichern, da ein falscher Handgriff das Handlungskonzept vollkommen durcheinander bringen kann. Um den Gedächtnisspeicher etwas zu entlasten, ist es empfehlenswert, alle relevanten Bedienungsanleitungen stichpunktartig auf einem Diktiergerät zu vermerken. Im Laufe der Zeit verinnerlichen sie sich. Dies fällt mir besonders an meinem Arbeitsplatz auf. Ich steure dort von einem Technikraum aus die Geräuschkulissen für den Dunkelparcours und die Filmtechnik für den Vorführraum. Dabei benutze ich diverse CD-, MD-, DVD-, Kassetten und Videoplayer, ein Mischpult und einen Beamer. Jede Einstellung muss exakt vorbereitet werden, damit die Veranstaltung reibungslos von statten gehen kann. Auch wenn die Vorgehensweisen trainiert sind, muss ich mich jedes Mal von Neuen konzentrieren, da besagte Beschriftungen, Displays und Lämpchen von mir unregistriert bleiben. Da es bei technischen Geräten keine Designstandards gibt, muss jedes Exemplar separat erlernt werden. Mein privater Anrufbeantworter beispielsweise stimmt in seiner Bedienbarkeit nicht einmal im Ansatz mit dem Gerät an meinem Arbeitsplatz überein.

Hat man sich als Blinder einmal in ein Gerät eingefühlt, gibt man es nicht gern her. Vor allem ältere Modelle sind in ihrem Aufbau weniger kompliziert als die brandaktuellen. Aufgrund der Schnelllebigkeit unserer Zeit, lassen sich jedoch bewehrte Exemplare schwer nachkaufen, da sie schon nach einigen Jahren "Museumswert" besitzen.

Praktische Küchenhelfer

Kurz nach meiner Erblindung erlag ich dem Irrglauben, sämtliche Geräte benutzen zu müssen, die der Hilfsmittelmarkt zu bieten hat. Ich wollte wie ein "guter" Blinder funktionieren und vermutete es gehöre dazu, sich sämtliches Handwerkszeug zuzulegen, welches in den Spezialkatalogen für Blinde und Sehbehinderte angeboten wurde. Heute ist mir bewusst, dass ich mir damit meine Küche unvorteilhaft verbaute und nur einen Teil der angepriesenen Küchenhelfer wirklich effektiv nutze. Auch du, geschätzter Leser, wirst deinen Haushalt nicht mit Geräten bestücken, die dir letztlich nur im Wege herumstehen. Sollte dem doch so sein, wirst du daraus gelernt haben und die nächste Anschaffung im Vorfeld kritischer überdenken. Natürlich liegt nicht jedem, jedes Hilfsmittel und es gibt Exemplare, die dazu gemacht sind, im Schrank zu verrosten.

Weil gerade für blinde Menschen die Übersichtlichkeit oberstes Gebot ist, sollten wirklich nur jene Küchenutensilien gut erreichbar zur Verfügung stehen, die ständig in Benutzung sind. Ich beherberge z. B. eine sprechende Speisewaage, verschiedene tastbare Messhilfen, Silikonbackformen, einen langen Schutzhandschuh, einen Apfelschäler, einen Zwiebelschneider, eine spezielle Greifzange, eine Abgießhilfe, einen Milchalarm, ein Brotmesser mit Führungsschiene, ein patentiertes Schneidbrett, einen akustischen Timer und diverse anwenderfreundliche Töpfe und Pfannen.

Mittlerweile werden selbst für den Küchenbedarf kleine Elektrochips angeboten, welche mit entsprechenden Daten gespeist werden können. So lässt sich z. B. das Gefriergut explizit identifizieren, der Zeitpunkt des Einfrierens, die entsprechende Menge oder der Verwendungszweck vermerken. Da jene elektronischen Helfer jedoch stets von der schnurlos an sie gekoppelten Steuerungstechnik abhängig sind, schrecken viele Betroffene noch davor zurück. Ich selbst mache mich auch nicht gern zum Sklaven von elektronischen Wunderwerken, obwohl ich sehr dankbar für deren Existenz und Weiterentwicklung bin. Im Zweifelsfall bin ich letztlich doch auf mein eigenes Gedächtnis angewiesen. Das wird mir immer wieder bewusst, wenn mein Diktiergerät oder mein PC einmal ausfällt.

Möchte man Lebensmittelkonserven markieren, empfiehlt sich ein Besuch im Bastelladen. Dort gibt es Obst- und Gemüseminiaturen aus Holz oder Kunststoff, die man mit einem Bändchen leicht an die entsprechend zu erkennenden Gläser oder Dosen anbringen kann (z. B. eine Möhre an den Rübenrohkost oder eine Paprika ans Letscho). Anhänger leisten in jedem fall gute Dienste. Auf diese Weise versah ich diverse Kräutermischungen mit einem kleinen Hexenbesen und meine Glühweingewürze mit einer Zimtstange.

Ein blinder Mann berichtete einmal von einem glücklicherweise eher amüsanten Desaster, welches er bei einer Gartenparty erlebte. Diese Story ist sicher nicht die einzige ihrer Art. Besagter Herr war den guten Rat eines blinden Freundes gefolgt und hatte alle alkoholfreien Bierflaschen mit einem Gummiband versehen. Die Flaschen mit dem alkoholhaltigen Inhalt trugen keine Markierung. Der einzige Sehende in der Gruppe, welcher dazu auserkoren wurde den Grill zu betreuen, durchschaute dieses Markierungssystem jedoch nicht. Er hatte vermutet, dass jede Bierflasche als Erkennungsmerkmal ein Gummiband tragen müsse und versah auch die noch "nackten" Exemplare aus purer Gutmütigkeit damit. Zu späterer Stunde, als der "Gucki" sich verabschiedet hatte, bemerkten die Blinden ihr Zuordnungsproblem. Nun war es dem Zufall überlassen, wer einen Schwips riskierte. Autofahren konnte ohnehin keiner der Anwesenden.

Als ich noch über einen entsprechenden Sehrest verfügte, arbeitete ich gern mit Kontrasten. Ein dunkles Getränk in einer hellen Tasse auf dunklem Grund konnte ich besser erkennen als z. B. Milch auf einer weißen Tischdecke in einem durchsichtigen Glas. Helle Lebensmittel wie Spargel, Kartoffeln oder gedünsteter Fisch waren beim Anrichten auf einem dunkelblauen Teller besser sichtbar als auf einem weißen. Ein dunkler Tellerrand half mir bei hellem Geschirr dabei zu erkennen, wo das Porzellan endete und wo die Stellfläche begann. Die roten Tomaten schnitt ich nicht auf einem orangefarbenen, sondern auf einem kontrastierenden Brettchen. Das Prinzip lautet also bei allen Sehrestlern: immer hell auf dunkel und dunkel auf hell. Wenn das Licht günstig fällt, nützen mir derlei Effekte sogar heute noch manchmal. Hin und wieder kann ich sogar erkennen, wie sich das Licht in einer Flüssigkeit spiegelt. Ich weiß von einer blinden Frau, die sich generell daran freute, Gegenstände spiegeln zu lassen. So drehte sie z. B. den Deckel der Keksdose in einem bestimmten Winkel zu einer Lichtquelle, bis sie die Reflektion wahrnahm. Selbst den Füllstand von Getränken konnte sie auf diese Weise erfassen. Diese kleinen Lichtimpulse waren alles, was sie aus der optischen Welt kannte. Bei anderen Betroffenen können Reflektionen jedoch zu unangenehmen Blendungen führen, bspw., wenn sich die Sonne auf einem glatten Untergrund spiegelt. In diesem Fall sind matte Küchenverkleidungen und Arbeitsplatten ratsam. Blendende Bodenelemente können mit einem rutschfesten Läufer abgedeckt werden.

Die meisten Küchenhelfer sind nicht speziell für blinde Menschen erfunden worden, haben sich aber aufgrund ihrer sehbehindertentauglichen Handhabbarkeit bewehrt. Ich könnte unzählige kleine Dinge aufzählen, die sich als sehr praktisch erweisen, ohne ein eigentliches Hilfsmittel zu sein. Der reguläre Haushaltsmarkt bietet bspw. Dosenöffner, welche keinen scharfen Rand erzeugen oder rutschsichere Mix-Schüsseln mit Schutzrand, um hartnäckige Deckel von Schraubgläsern leicht lösen zu können, kann man sich eines speziellen Kunststoffhebels bedienen. Lassen sich Flaschen schwer öffnen, hilft es manchmal, mit einem massiven Messergriff den Verschlussring zum Platzen zu bringen. Schnittlauch lässt sich einfacher mit einer Schere schneiden. Möchte man Kräuter zerkleinern, ist ein doppelklingiges Wiegemesser sicherer, da es fest auf dem Untergrund stehen kann. Zitronen- oder Knoblauchpressen können gute Dienste leisten. Erstere sollten über ein Auffangschälchen für die Kerne verfügen. Mit einem Eierschneider lassen sich auch andere geeignete Lebensmittel (Früchte oder gekochte Kartoffeln) in gleichmäßige Stücke zerteilen.

Einer der elementarsten Haushaltsbegleiter für blinde Menschen stellt die Küchenrolle dar. Zu schützende Arbeitsflächen können damit großzügig ausgelegt werden, verschüttete Flüssigkeiten lassen sich leichter eindämmen und den permanent beanspruchten Händen dient es als Trocken- und Reinigungstuch. Platziert man ein angefeuchtetes Küchentuch unter einem Gefäß, kann man letzteres somit rutschfest am gewünschten Platz fixieren. Einige weitere Helfer werden uns im nächsten Unterpunkt am konkreten Beispiel begegnen, lieber Leser. Ich werde versuchen, sie anschaulich in den Back- und Kochprozess einzubeziehen. Also, bis gleich…

Erste Back- und Kochversuche

Nun, hungriger Leser, lass uns ein 4-Sinne-Menü zaubern. Das Sehen klammern wir an dieser Stelle aus, denn schließlich kocht ja nicht nur das Auge mit. Ich genieße den Vorteil, küchentalentierte Menschen an meiner Seite zu wähnen. Diesen Umstand weiß ich sehr zu schätzen. Dennoch habe auch ich das Bedürfnis, mir diverse Fertigkeiten zu erschließen.

Beginnen möchte ich mit einer Kompromisslösung, welche nach meiner Erblindung einen relativ gefahrenfreien Umgang mit Hitze ermöglichte. Außerdem trainierte ich auf diese Weise die sichere Dosierung von Zutatenmengen. Eine Freundin empfahl mir die Anschaffung eines Brotbackautomaten. Bevor ich diesem Rat folgte, informierte ich mich über die Benutzerfreundlichkeit verschiedener Geräte. Es lohnt sich, einmal einen Rundgang durch die Küchen von Freunden oder Verwandten zu unternehmen und auf die Suche nach Küchenhelfern zu gehen, die auch für blinde Menschen geeignet sind. So ging es mir mit jenem auserwählten Automaten, welcher sich quasi schon in anderen Küchen bewährt hatte. Natürlich ist kein Exemplar wirklich barrierefrei nutzbar, aber es ist schon hilfreich, wenn ein Gerät Quittungstöne besitzt. Somit kann ich hören, wann ein Programm startet oder wann der Backvorgang beendet ist.

Die zur Herstellung eines leckeren Brotes erforderlichen Zutaten befinden sich in speziell markierten Gefäßen. Diese sollten über eine gut kontrollierbare Ausschüttung verfügen, tastbare Messutensilien und die sprechende Speisewaage unterstützen mich bei der erforderlichen Dosierung. Es ist in jedem Fall empfehlenswert, sich auf bekannte Abpackungen festzulegen. Kauft man einmal verinnerlichte Produkte, muss man sich nicht immer wieder neu bei einem "Gucki" über die Zubereitungsart informieren. Andere Hersteller erfordern meist eine Umstellung der einmal trainierten Gewohnheiten. An anderer Stelle kann ich auch ohne Messbecher aktiv werden. Die Würzung des Brotes obliegt meiner persönlichen Stimmung. Ich wähle zwischen Kümmel, Leinsamen, Haferflocken, Mohn, Mandelsplittern, Sonnenblumenkernen, Röstzwiebeln, Kräutermischungen, Parmesan oder Schinken. Ein duftendes Brot kann etwas sehr Sinnliches sein. Wenn es soweit abgekühlt ist, dass es sich gut schneiden lässt, kommt ein spezielles Messer mit Führungsschiene zum Einsatz. Wer sich den Umgang mit jenem Messer nicht zutraut, sollte sich eine besonders gesicherte Brotschneidemaschine anschaffen. Bäckt man sein Brot nicht selbst, ist es sinnvoll, bereits geschnittene Produkte zu kaufen.

Für blinde Backanfänger, welche nicht vor der Benutzung des Herdes zurückschrecken, gibt es eine Menge sympathische Rezepte und gut handhabbare Kuchenformen. Ich habe mich anfangs gern an Muffins versucht. Was mich etwas irritierte war der blinde Umgang mit dem Mixer. Ich entwickelte einen großen Respekt vor rotierenden Geräten, da ich ständig in der Angst lebte, mit dem Finger in den Rotor zu geraten. In diesem Falle sind Trockenübungen empfehlenswert. Ohne Strom und Zutaten können zunächst orientierend die notwendigen Abstände ertastet werden. Arbeitet man dann mit Strom, sollte man alle beteiligten Kabel immer so verlegen, dass sie keine Unfälle verursachen können. Ist das Gerät nicht mehr erforderlich, sollte es sogleich von der Stromversorgung getrennt werden.

Zutatenbehältnisse sollten nach der Benutzung stets wieder geschlossen werden. Es ist z. B. weniger schlimm, wenn eine verschlossene Flasche umgestoßen wird, als eine offene. Jedes nicht verschlossene Gefäß würde seinen Inhalt unkontrollierbar im ganzen Raum verteilen. Hohe Gegenstände sollten stets an die Wand geschoben werden, dort stehen sie sicherer.

Manche blinde Menschen richten sich nach so genannten Tassenrezepten beim Kuchenbacken. Die Rezepte sind nicht auf komplizierte Mengen berechnet, sondern auf Tasseninhalte. Man benötigt eine Tasse von diesem und zwei von jenem und eine halbe von dem anderen und umgeht somit die peniblem Grammangaben.

Das Aufschlagen von Eiern erfordert dann schon wieder etwas mehr Übung. Das Weiß vom Gelb zu trennen ist blind nicht so ganz einfach. Außerdem kostet es Überwindung, mit den Fingerspitzen im Eibrei auf die Suche nach eventuellen Schalenresten zu gehen. Aber diese Pingeligkeit muss man sich schnell abgewöhnen, denn es wird zur absoluten Erforderlichkeit, die Hände ins Geschehen einzubeziehen. Es ist nicht mehr möglich wie ein "Gucki" den Pudding oder die Pizzasauce mit dem Löffel gleichmäßig auf einer Teiggrundlage zu verstreichen, also müssen die Finger instrumentalisiert werden. Das Reinigen der Hände gehört deshalb vermutlich zu den am häufigsten ausgeführten Handlungen in der Küche.

Beim Backen selbst, generell beim Zubereiten von Gerichten, sind genaue Zeitangaben bestimmend. Da ein Blinder den Zustand des Lebensmittels in der Backröhre oder in der Bratpfanne nicht am Bräunungsgrad erkennen kann, sollte der Timer zum festen Küchenhelfer werden. Natürlich kann auch die Nase über den Grad des Garzustandes informieren, aber diese Sicherheit allein genügt nicht. Ob der Kuchen durchgebacken ist, erkennt man zusätzlich, in dem man mit einem Holzstäbchen hinein sticht. Bleibt klebriger Teig am Stäbchen hängen, ist es noch nicht soweit.

Das Einführen des Backbleches in den vorgewärmten Herd und das Herausziehen des dampfenden Kuchens ist nicht ganz ungefährlich, denn die ungeschützten Hände könnten sich unkontrolliert verbrennen. Deshalb sind lange Handschuhe empfehlenswert. Diese sollten jedoch nicht so dick sein, dass sie keine Tastempfindungen mehr ermöglichen. Ist der Kuchen nun abgekühlt, muss er noch möglichst gleichmäßig geschnitten werden. Für Torten mit weichen Oberflächen gibt es Schneider mit einstellbaren Stückgrößen. Das gesamte Unterfangen gestaltet sich jedoch eher schwierig, schließlich will man ja nicht mit einem falschen Handgriff das gesamte Kunstwerk zu Matsch verarbeiten. Ein gutes Trainingsobjekt ist Blechkuchen, wenn es darum geht, eine gleichmäßige Messerführung zu üben. Hier ist es auch nicht so schlimm, wenn man etwas schräg gerät.

Ganz leicht handhabbar sind Muffinformen aus Silikon. Mann kann die fertigen Resultate einfach aus der flexiblen Form drücken. Beim Plätzchenbacken ist eine Silikonunterlage empfehlenswert. So entsteht kein Festbacken und Ankleben und sollte das Gebäck Widerstand leisten, kann man die flexible Unterlage einfach lösen.

Natürlich führt die Benutzung von staubigen Zutaten wie Mehl und Puderzucker zu unfreiwilligen Küchenverzierungen. Raumgreifende Teppichböden sind deshalb in diesem Bereich nicht empfehlenswert. Sämtliche Flächen sollten einfach zu säubern sein. Es gibt spezielle Techniken zum systematischen Reinigen von Arbeitsbereichen. Die eigene Kleidung sollte stets durch eine Schürze geschützt werden. Generell sollte man alle Störfaktoren ausklammern, die im Wege hängen oder stehen könnten, und wenn es die eigene Frisur ist. Lieber einen großmütterlich anmutenden Haarknoten binden, als die gepflegte Mähne mit dem Pürierstab zu vereinen. Außerdem kann man als "Blindgänger" noch schlechter als ein "Gucki" nachvollziehen, ob ein Haar in die Speise fällt.

Was das Kochen betrifft, habe ich mit der Anschaffung eines Woks eine für mich ganz praktikable Lösung gefunden. Da dieser wie eine großzügige Schüssel beschaffen ist, muss ich nicht befürchten, dass mir mein Bratgut über den Rand fällt. Bei Pfannen mit flachem Rand kann das schnell passieren, vor allem bei geschnippelten Zutaten. Es ist generell empfehlenswert, eine Pfanne nicht zu überfüllen. Wer nicht blind mehrere Brätlinge (z. B. Schnitzel oder Würstchen) auf einmal bewältigen kann, sollte sich jedem einzelnen nacheinander widmen.

Natürlich sollte ein blinder Koch schon bevor der Herd aktiviert wird, alle Zutaten zurechtschneiden, griffbereit positionieren und zur entsprechenden Zeit in den Kochprozess einbringen. Während des Kochens kann ich es mir persönlich nicht erlauben, nach etwas zu suchen. Schon vorher muss alles Notwendige der Reihe nach aufgestellt sein.

Wenn ich frisches Gemüse putze oder Kartoffeln schäle, bediene ich mich eines so genannten Sparschälers. Nicht jedem liegt ein solches Hilfsmittel. Wer vor seiner Erblindung gut mit einem Messer zurecht kam und Kartoffeln quasi im Schlaf schälen konnte, wird diese Gewandtheit vielleicht in die Blindheit mitnehmen. Für das systematische Zerteilen von Lebensmitteln gibt es spezielle Greif- und Schneidtechniken, die den Verlust der eigenen Fingerkuppen ausschließen.

Sind nun alle Zutaten ihrer Garzeit entsprechend aufgestellt, geht es ans Erhitzen. Ein biegbares Schneidbrett ermöglicht das gezieltere Umlagern des geschnittenen Gutes, da man es vorn spitz zulaufend formen kann, um die Schüttbreite dem Zielgefäß anzupassen.

Um zu überprüfen, ob das Kochgefäß mittig auf der Herdplatte platziert wurde, kann man sich einen Holzlöffel mit langem Stiel zu Hilfe nehmen. Man umfährt die erhitzte Platte zunächst orientierend mit dem Stil und positioniert ihn schließlich am Rand. Dann lässt man mit der anderen Hand den Topf am Löffelstiel herab gleiten und bringt ihn somit genau richtig zum Stehen. Abschließend kontrolliert man noch einmal mit dem Löffelstiel, ob Herdplatte und Kochgefäß exakt aufeinander treffen. Bei Herden mit Ceranfeld ist dies nicht möglich. Hier kann nur der Temperatursinn helfen. Man lässt die Hand einige Zentimeter über der Kochfläche kreisen und erspürt, wo sich die Wärme konzentriert. Dort positioniert man dann das Kochgefäß.

Der Umgang mit Öl und heißem Fett sollte natürlich sehr verantwortungsbewusst vollzogen werden. Ich streiche Pfanne oder Wok bereits im kalten Zustand mit einer dünnen Ölschicht ein, obwohl dies nicht die eleganteste Variante ist. Aber ich traue mir nicht zu, Öl in eine heiße Pfanne zu geben. Um festzustellen, ob die Pfanne heiß genug ist, werfe ich testweise ein Stück Zwiebel hinein. Das aufkommende Bratgeräusch verrät mir, wann ich beginnen kann. Geruchssinn, Tastsinn, Gehör und besagter Timer bestimmen nun das Gelingen der Mahlzeit. Als Kochalarm dienen tastbare Kurzzeitwecker oder elektronische Pieper.

Um festzustellen, ob eine bestimmte Flüssigkeit in einem Topf bereits kocht, kann man sich eines so genannten Milchalarms bedienen. Dieses Hilfsmittelchen besteht aus einer kleinen, massiven Glasscheibe, welche man auf dem Grund des Topfes platziert. Sobald der Kochvorgang beginnt, fängt die Scheibe laut zu klappern an. Ein Anbrennen von Milch, aber auch von diversen Suppen oder Saucen kann so gut verhindert werden.

Zum Abschütten von heißem Wasser, z. B. nach dem Kochen von Reis, Nudeln oder Kartoffeln empfiehlt sich eine Abgießhilfe. Diese kann mittels Federmechanismus auf den Topf gespannt werden und schaut aus wie ein halber Topfdeckel mit Löchern. Durch diese Löcher kann dann das Wasser gegossen werden, ohne dass dabei versehentlich der Inhalt des Topfes hinterher geschüttet wird. Agiert man während des Kochens im heißen Topf, helfen Zangen und Kochbestecks, die Position der Topfinhalte zu fixieren.

Für das Zubereiten von Eierkuchen gibt es Wendepfannen, welche von beiden Seiten geschlossen sind. Hier wird der Inhalt durch das Drehen der Pfanne beidseitig bedient. Mit der "Wendepfanne lass ich es jetzt auch "bewenden", und beende meinen kleinen Kochexkurs. Natürlich haben viele Küchenutensilien auch ihre "Kinderkrankheiten" und funktionieren nur bedingt. Hilfsmittel und Techniken allein können auch niemals das fehlende Sehen vollständig ersetzen. Entscheidend ist, dass jeder Betroffene seine persönlichen Methoden entwickelt, um einen weitgehend sicheren Umgang mit Gefahrenquellen und ein Gelingen der Mahlzeit gewährleisten zu können. Die hier vorliegende Abhandlung dient als Beispiel und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Essensfertigkeiten

Teller mit Konservendosen angeordnet

Hungriger Leser, falls du glaubst, der Verzehr eines leckeren Menüs sei in jedem Fall der pure Genuss, dann werd ich dich leider enttäuschen müssen. Auch für ein adäquates Verhalten an Gedeck und Speise gibt es spezielle Techniken, welche zunächst eher mit Anspannung als mit Entspannung verbunden sind. Man nennt sie "Essensfertigkeiten". Noch heute zucke ich zusammen, wenn ich an meine erste Reaktion auf dieses Wort denke.

Mir war bewusst geworden, dass eine ästhetische Nahrungsaufnahme größtenteils von den Augen gesteuert wird. Ich hatte mir abgewöhnt, in Gaststätten komplizierte Kompositionen zu wählen aus Angst, sie nicht bewältigen zu können. Jedes ungünstig platzierte Salatblatt konnte zu einem peinlichen Dilemma führen. All die optischen Details, welche das Auge betören sollten, wurden für mich zu unkoordinierbaren Speisefeinden: üppige Sahnehauben auf Eisbechern, Zitronenscheiben auf dem Fisch, dekorativ inszenierte Aufschnittplatten. Wenn ich mich im öffentlichen Raum bewegte, aß ich nun nicht mehr das was mir schmeckte, sondern entweder gar nichts oder Lebensmittel, welche sich am unkompliziertesten konsumieren ließen. Ein trockenes Brötchen auf die Faust stellt für so manchen Erblindeten ein gern beanspruchtes Ausweichmanöver dar.

Das Einnehmen einer Mahlzeit muss vom Bekennenden ebenso durchdacht werden wie all die anderen Abläufe, die vor der Erblindung eben mal so nebenbei und ohne größere Anstrengungen funktionierten. Sicheres Speisen beginnt im Grunde schon mit der Positionierung am Tisch. Hat man seinen Platz eingenommen, sollte man sich zunächst mit den Händen einen Überblick über den Verlauf der Tischkante verschaffen um festzustellen, in welchem Verhältnis man sitzt. Nun können die Finger vorsichtig den Gedeckbereich erkunden. Es empfiehlt sich, immer von innen nach außen zu verfahren, in kontrollierten, halbkreisartigen Tastbewegungen. kreißt man ungestüm von außen nach innen auf dem Tisch umher, besteht die Gefahr etwas umzustoßen. Während des vorsichtigen Erarbeitens der Gedeckanordnung kann der kleine Finger ruhig etwas abgespreizt werden um als sensibler Vorbote z. B. den Standort eines Glases anzuzeigen. Natürlich sollte man beim Tasten nicht mit den Fingern in die Mahlzeit geraten.

Sowohl bei der Ausrichtung am Gedeck, als auch beim Zurechtfinden auf dem Teller, hilft die Orientierung am Uhrzeigerprinzip. Stellt man sich den Teller als Zifferblatt einer Uhr vor, kann z. B. das Fleisch auf um sechs, die Beilagen auf um drei und das Gemüse auf um neun positioniert werden. Das Getränk kann bei 2 Uhr und das Dessert bei 11 Uhr stehen. Erläutert der Sehende dem Blinden die Anordnung der einzelnen Speisen auf dem Teller, sollte er ebenso das Uhrzeigerprinzip zu Rate ziehen.

Ein Gucki sollte niemals die Platzordnung eines Blindgängers manipulieren, auch nicht mit gut gemeinter Absicht. Ich z. B. greife gezielt an die Stellen zurück, an denen ich ein bestimmtes Utensil bewusst hinterlassen habe. Rückt jemand einen Gegenstand beiseite, besteht die Gefahr, dass ich ihn umwerfe, da ich ihn dort nicht vermutete. Sollte ich einen Hinweis zum Vorgehen auf meinem Teller benötigen, erfrage ich ihn mir. Dies ist vor allem in Gaststätten von Nöten, wenn ich die fürs Auge inszenierte Anordnung nicht durchschaue. Da ich Fettränder und Gewürzkörner erst im Mund bemerke, freu ich mich über Vorwarnungen. So manches Mal landeten Bissen in meinem Mund, die ich dann unter großem Widerwillen herunterwürgen musste. Da die Finger nicht in direktem Kontakt mit der Speise stehen, muss das Besteck als Informant dienen. Das Besteck allerdings besteht aus toter Materie und kann detaillierte Beschaffenheiten nur gedämpft übertragen.

Für den Umgang mit Messer und Gabel haben sich bestimmte Schieb- Quetsch- und Schneidtechniken bewehrt. Um festzustellen, ob Messerschneiden oder Gabelzinken richtig gehalten werden, tastet man zur Sicherheit das eine mit dem anderen Besteckteil ab. Wie würde es auch aussehen, wenn man mit den Fingern die Zinkenstellung der benutzten Gabel kontrolliert.

Je voller der Teller, desto unmöglicher die Orientierung darauf. Die regelmäßig mit dem Besteck ausgeführte Tellerrandkontrolle verhindert, dass die Lebensmittel auf dem Tisch landen. Schneidgut wie Fleisch oder Fisch sollte nicht auf den Kartoffeln platziert werden. Um das zu schneidende Objekt sollte sich möglichst ein kleiner Spielraum befinden. Manchmal ist es angemessen, für die Bewältigung des Schneidgutes einen zweiten Teller zu bemühen. Dieser sorgt allerdings dann für mehr Unübersichtlichkeit auf dem Tisch.

Das vorherige Auslösen von Knochen kann hilfreich sein (z. B. bei Hähnchenkeulen). Beim Schneiden von Fleisch muss man als nicht Sehender systematisch vorgehen. Zunächst wird es mit dem Messer umrundet, um in seiner Dimension erkannt zu werden. Nun sucht man sich mit der Gabel einen Anfangspunkt am Rand und fixiert das abzutrennende Element. Mit dem Messer wird nun halbkreisförmig dicht um die Gabelzinken herum ein Stück abgeschnitten. Bevor der Bissen in den Mund gelangt, sollte er noch einmal mit dem Messer auf der Gabel abgetastet werden. Ein unvorteilhaft großes oder quer liegendes Stück lässt sich nicht besonders ästhetisch in den Mund manövrieren.

Kartoffeln, welche wegzuschnipsen drohen, schneide ich mir persönlich gern in Scheiben. Dann sind sie beim Quetschen kontrollierbarer. Manchmal lässt sich das Quetschen gar nicht realisieren und ich verzehre die Kartoffeln in kleinen Stücken.

Zu viel Sauce tut selten gut, da sie durch die Rotation auf dem Teller über den Rand quellen könnte.

Platziert man als Blinder, Erbsen auf einer Gabel, ist es sinnvoll, nicht das Gemüse mit dem Messer auf die Gabel zu schieben, sondern die Gabel auf das Messer zu zu bewegen. Die Messerklinge dient auf diese Weise als Begrenzungswand und die Erbsen können nicht auf der anderen Gabelseite wieder herunter geschoben werden.

Spargel ist aufgrund seiner Fadenbildung schwer zu bewältigen. Manche Betroffene schätzen es sehr, wenn die Stangen bereits vorgeschnitten sind. Ich persönlich finde es befremdlich, wenn jemand auf meinem Teller agiert, um mir mundgerechte Stücke zu schneiden. Wir sind ja schließlich nicht im Kindergarten.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich beim Bewältigen von komplizierten Konstruktionen oft eine mundgerechtere Variante ersehne. Vor allem, wenn ich hungrig bin und wenig Zeit habe. Während sich meine Kollegen in der Mittagspause entspannen, befasse ich mich dann häufig pseudowissenschaftlich mit der Entwirrungstechnik meiner rutschfreudigen Roulade oder der Entblätterungssystematik der rombenförmigen Spinattasche.

Beim Verzehr von Suppen sollte man mit dem Löffel von außen nach innen arbeiten und den vollen Löffel stets über dem Teller halten. Heiße Suppe auf dem Schoß ist nämlich nicht jedermanns Sache. Die klassische Bockwurst in der Kartoffel- oder Erbsensuppe kann, je nach Gusto, auf einem separaten Teller zerkleinert werden oder bereits in der Suppe vorgeschnitten sein.

Frönt man der italienischen Küche, hilft auch beim blinden Verzehr von Spagetti ein Löffel, auf welchem die Nudeln um die Gabelzinken gedreht werden.

Pizza häppchenweise zu zerkleinern gestaltet sich schwierig, da die unterschiedlichen Beläge ohne Augenkontrolle nur sehr bedingt koordiniert werden können. Käse bildet oft unberechenbare Fäden, Salami und Schinken lassen sich schlecht zerteilen und werden oft versehentlich im Ganzen heruntergezogen. Ratsamer ist es, sich die Pizza vierteln zu lassen, um die einzelnen Stücken dann in die Hand nehmen zu können. Voraussetzung ist allerdings hier eine griffige Konsistenz des Teiges. Kreiert man selbst eine Pizza, sollte man die Zutaten schnittfreundlich aufbringen.

Beim Bewältigen von Tortenstücken sind zwei Besteckteile ratsam. Eine Kuchengabel zum Fixieren und ein Löffel zum Abtrennen der mundgerechten Stücke. Sehr hohe Teigteile sollten lieber gelegt als gestellt werden. Die Spitze des Tortenstückes sollte auf sechs Uhr zeigen. Ein zu fester Boden kann separiert und mit der Hand dazu gegessen werden. Große Fruchtstücke sind ungünstig, da der Blinde nicht sieht, an welcher Stelle z. B. ein Ananasring gut durchtrennbar ist. Nicht essbare Dekoartikel auf der Torte müssen dem nicht Sehenden natürlich unbedingt angesagt werden. Üben lässt sich das Bewältigen von Tortenstücken auch mit nicht essbaren Materialien wie Blumenmoss. Schließlich können ja während eines LPF-Trainings nicht zu reinen Übungszwecken dutzende von Kalorienbomben vertilgt werden.

Ein gewöhnliches Frühstücksei kann unter Umständen zu einer kleinen Wissenschaft werden. Wer sein Ei gern noch etwas flüssig verzehrt, hat als Blinder ganz schlechte Karten. Das lauwarme Eigelb läuft dann oft unbemerkt an den Fingern herab, da dessen Temperatur der des eigenen Körpers gleich ist. Es empfiehlt sich in diesem Fall, soviel Schale wie möglich am Ei zu belassen, um eine Art Schüsselchen zu bilden, welches den Rand des Eierbechers überragt. Mit einer solch zerbrechlichen Hülle muss man jedoch behutsam umgehen. Soll das Ei ganz von der Schale gelöst werden, ist es sinnvoll, es nach dem Schälen unter laufendes Wasser zu halten. Eventuelle Schalenreste können so sicher entfernt werden. Ich bin glücklicherweise eine Freundin des harten Frühstückseies (Weicheier kommen mir nicht ins Haus). Meist nehme ich es geschält in die Hand und dippe es vor jedem Bissen in einen Senfklecks, welchem auf meinem Frühstücksteller ein fester Platz zugewiesen wurde. Platziert sich der Klecks woanders, kann es mir passieren, dass ich mir versehentlich mein Stück Bienenstich ungenießbar verfeinere.

Auch das Zerteilen von Brötchen in zwei Hälften und das Bestreichen verschiedener Brotarten will gelernt sein. Beim Teilen eines Brötchens stehen Finger und Messer in enger Konversation. Der Daumen dient als Richtungsweiser am Gebäck und orientiert mit der anderen Hand das Messer hinter sich her.

Bestreicht man eine Scheibe Brot, empfiehlt es sich, sternförmig von innen nach außen zu arbeiten, um das Streichprodukt gleichmäßig verteilen zu können. Beim Üben scheint es ratsam, den Streichvorgang hörbar zu gestalten, um den Verlauf auch mit den Ohren kontrollieren zu können. Hierzu sind knusprige Toastscheiben gut geeignet, denn sie machen das Agieren akustisch wahrnehmbar.

Wer gern Knäckebrot isst und verhindern möchte, dass dieses beim Bestreichen durchbricht, kann während des Prozesses eine polsternde Graubrotscheibe darunter halten. Diese ist flexibler als ein Teller und bettet das knusprige Knäckebrot weich.

Manche Aufstriche lassen sich schlecht auf dem Brot fixieren, z. B. diverse Fleisch- oder Gemüsesalate. Diese sollten lieber aus einem Schälchen dazu gegessen werden. Salate, auch Rohkost-, Nudel- Reis- oder Obstsalate, lassen sich generell aus einem Schälchen besser bewältigen als von einem flachen Teller. Das Schälchen bietet einen hohen Rand, welcher als tastbare Begrenzung dient. Bei einem Teller besteht die Gefahr, die Speise auf der großen Fläche hin und her zu schieben, wohlmöglich noch über den Rand hinaus.

Wenn man feststellen will, ob ein Teller vollständig abgegessen ist, sollte man mit dem Messer sternförmig von außen nach innen arbeiten, um eventuelle Reste im Zentrum zusammenzutragen.

Nennenswert erscheint mir aus aktuellem Anlass der Umgang mit Früchten .Unser Garten trägt nämlich die verlockendsten Exemplare: Erdbeeren, Kirschen, Aprikosen, Pfirsiche, Äpfel. Wer sein Obst nicht spritzt, muss hier und da schon mal mit unappetitlichem Getier im Inneren der Früchtchen rechnen. Mein persönliches Defizit liegt nun darin, dass ich jene Bewohner erst bemerke, wenn ich sie bereits im Mund habe. Aus diesem Grunde führe ich jede zerteilte Frucht erstmal einem "Gucki" vor, bevor ich sie beruhigt genießen kann.

Ob ich eine Speise beruhigt genießen kann oder nicht hängt jedoch nicht nur von einer Made in der Pflaume ab, sondern auch von anderen Faktoren. Speise ich z. B. in der Öffentlichkeit, bin ich permanent den Blicken Interessierter ausgeliefert. Da ich nicht selten zu Empfängen geladen bin, befinde ich mich häufig mit zahlreichen "Guckis" an langen Tafeln mit weißen Tischtüchern. An meinem Platz stehen dann meist mehrere Gläser, eines für den Empfangssekt, eines für das Wasser und eines für den Wein. Schon diese filigranen Glasgebilde sind eine Herausforderung für meinen Orientierungssinn, vor allem, wenn ich nebenbei noch in entscheidende Geschäftsgespräche verwickelt werde.

Das Buffet, worauf sich bei derlei Veranstaltungen alle Genießer freuen, treibt mir dann meist einen Krampf in den Magen und eine Verspannung in den Rücken. All die dekorativen Häppchen, welche ebenso ästhetisch angeordnet sind wie sie auch verzehrt werden wollen, würden einige Trainingsstunden erfordern. Leider gibt es für diese Art von Leckerbissen keine blindengerechte Bewältigungstechniken, da man sich nicht auf Standards verlassen kann. Wenn mir z. B. jemand sagt, er habe mir eine gefüllte Tomate und einige mit Obst gespickte Fleisch- und Käseproben auf den Teller gelegt, weiß ich trotz allem nicht, wie hoch die Tomate ist, ob ich sie mit einem Bissen bewältigen kann, ob sie ganz, halbiert oder geviertelt angerichtet wurde. Was die Häppchen betrifft, ahne ich nicht, ob sie ein Spießchen besitzen, ob ungenießbare Schalen verarbeitet wurden, wie meine Tischgenossen sich beim Verzehr verhalten.

Das Prinzip Sicherheit durch Nachahmung funktioniert bei mir leider nicht. Sehende orientieren sich häufig an den Vorgehensweisen anderer, um nicht aufzufallen. Erschwerend kommt hinzu, dass ich in solchen Momenten spüre, dass einige Neugierige dabei zuschauen, wie ich bestimmte Anforderungen bewältige. Manch einer sagt mir das auch ganz offen: "Faszinierend wie Sie das machen. Ich schau Ihnen schon die ganze Zeit beim Essen zu. Ich kann gar nicht wegsehen. Und wie gezielt Sie auf die Weintraube zugreifen…". Selbstverständlich freue ich mich über diese Komplimente und gegen natürliche Neugier in Kombination mit Wohlgesonnenheit ist nichts einzuwenden, aber unverkrampfter werde ich dadurch eher nicht.

Während ein Sehender einschätzen kann, ob er gerade unbeobachtet ist, komm ich mir die ganze Zeit über observiert vor. Habe ich eine bekannte Vertrauensperson in meiner Nähe, flüstern wir uns unauffällige Botschaften zu, welche das Geschen am Tisch und insbesondere auf meinem Teller begleiten. Bestimmte Fragen kann ich jedoch oft nicht stellen, da alle dicht beieinander sitzen und eventuell jemand hören könnte, was nicht für seine Ohren bestimmt war.

Sich zu bekleckern wäre fatal. Die elegante Abendgarderobe würde es einem sehr übel nehmen und die Vorstellung vom "Sabberblinden" am Tisch wäre mal wieder mit allen Klischees behaftet. Erfahrungsgemäß erscheint das Tischtuch um meinen Teller herum meist jungfräulich, während einige "Guckis" fleißig schmieren und klecksen. Purzelt einem Augennutzer die Mandarinenhaube vom Käsespieß wird das am Rande registriert, ist zwar peinlich, aber passiert. Widerfährt mir ein solches Missgeschick, wird es mit meinem Blindsein verknüpft und nicht mit meinem Menschsein.

Servietten sind übrigens zu meinen liebsten Mahlzeitbegleitern geworden. Da blinde Menschen permanent darauf angewiesen sind, ihre Finger einzusetzen, verstärkt sich auch das Bedürfnis, diese zu reinigen.

Bei allem Appetit auf die duftenden Spezialitäten, hat die Wahrung der Etikette für mich oberstes Gebot. Das mag vielleicht an dieser Stelle der falsche Weg sein, aber ich esse notfalls lieber nichts, als unangenehm aufzufallen. Ein Grillabend bei Freunden oder eine familiäre Geburtstagsrunde an der Kaffeetafel erlaubt natürlich mehr Freiräume, als ein hochkarätiges Geschäftsessen.

Systematische Ordnungs- und Säuberungsmethoden

Ich freue mich sehr, dass du mir auch in dieses etwas "unbequemere" Kapitel folgst, lieber Leser. Jetzt geht es nämlich an die Aufräumarbeiten. In dieser Hinsicht kann das Speisen in fremder Umgebung auch Vorteile mit sich bringen. In den seltensten Fällen muss man im Nachhinein für die Aufräumarbeiten am Tisch und in der Küche sorgen. War man jedoch selbst der Gastgeber und ist für das Chaos nach dem Sturm verantwortlich, hält sich die Begeisterung in Grenzen. Das geht den Blinden wie den Sehenden. Oft sieht es nach dem Kochen im wahrsten Sinne des Wortes aus wie Kraut und Rüben.

Um Ordnung in der Küche zu schaffen, muss sich der nicht Sehende nun wieder besonderer Vorgehensweisen bedienen. Ein Tisch, an welchem eine Horde hungriger Mäuler wütete, kann unter Umständen als unüberschaubares Schlachtfeld zurück bleiben. Dies fiel mir besonders bei meinen gastronomischen Dunkelevents auf. Ich begleitete unzählige Feierlichkeiten, Verkostungen und Gängemenüs in vollkommener Finsternis und die vorübergehend erblindeten "Guckis" richteten so ganz ohne ihr gewohntes Augenlicht häufig ein wahres Chaos an.

Meine Aufgabe bestand nun stets darin, ein Konzept in das zu bekommen, was mir meine Gäste hinterließen. Ich tastete mich durch benutzte Servietten, Essensreste, halbvolle Gläser und ungünstig platzierte Messerschneiden. Dabei musste ich mangels Gesamtüberblick zentimeterweise vorgehen. Wie ich alles eingedeckt hatte, wusste ich noch, aber was meine lieben Mitmenschen inzwischen daraus gemacht hatten, musste ich mir erst erarbeiten. Es kostete mich anfangs viel Überwindung, mir bei den Aufräumarbeiten helfen zu lassen. Aber "Guckis" untereinander helfen sich ja auch gegenseitig, ohne sich Unselbständigkeit zu unterstellen. In dieser Hinsicht kann man auch von einem Blinden keine übermenschlichen Fähigkeiten erwarten. Ich empfinde es als sehr entspannend, wenn jemand rasch alle Reste auf einem Teller platziert und schon mal nebenbei die Schüsseln stapelt.

In der Küche angekommen, müssen Geschirr und Kochutensilien systematisch platziert werden, um der Reihenfolge entsprechend in den Abwasch zu gelangen. Arbeitet man unkoordiniert, passiert es schnell, dass man sich verletzt oder etwas umstößt oder beides. Natürlich muss der Tastsinn im Abwaschwasser sehr aufmerksam sein. Ich persönlich taste jedes Utensil ausgiebig von allen Seiten ab um jegliche Unreinheit zu erspüren. Untastbare Verunreinigungen wie Kaffeeränder, finden meine Hände nicht. Deshalb spüle ich zur Sicherheit noch einmal nach.

Es ist wichtig, dass ich das zum Abtrocknen bereite Geschirr immer genau an die zugewiesenen Stellen platziere um vor dem Einsortieren in die Schränke gezielt darauf zugreifen zu können. Wäscht ein anderer ab, komme ich beim Abtrocknen oft durcheinander. Hier sind Absprachen nötig.

Auch im Umgang mit Geschirrspülmaschinen ist einiges zu beachten. Zunächst muss sich der blinde Benutzer mit der Bedienbarkeit des Gerätes auseinandersetzen. Die Dosierungen des Spülmittels und die Programmauswahl ist ohne Sichtkontrolle zunächst nicht so ganz einfach. Das Bestücken der Maschine übernimmt natürlich der Tastsinn, welcher sich vorher über den Grundaufbau der Einschubkörbe informieren sollte. Nicht zu empfehlen sind Besteckhalter, welche Gabelspitzen und Messerschneiden nach oben zeigen lassen. Ungefährlicher ist es, wenn das Besteck gelegt, und nicht gestellt wird.

Das Säubern von Flächen erfolgt ebenso systematisch, meist in Bahnen, von hinten nach vorn. Auch hier tasten meine Hände lieber noch einige Male nach. Ich ärgere mich immer sehr, wenn ich mir viel Mühe damit gemacht habe, meine Umgebung perfekt zu säubern und der "Gucki" entdeckt dann an einer für mich nicht erkennbaren Stelle doch noch einen Fleck oder einen Spritzer. Ein Beispiel:

Eines Nachts kam ich frierend und müde von einem Konzert nach Hause und mich plagte der Hunger. Natürlich bin auch ich zu so später Stunde nicht mehr der konzentrierteste aller Menschen. Das interessierte allerdings leider die Blindheit nicht. Ich hatte mich beim Aufbrühen einer tomatigen Terrine erst selbst aufgebrüht um, anschließend die heiße "Sauerei" erschrocken aus meinen Fingern gleiten zu lassen. Jene Terrine versprühte durch ihren Aufprall den leckeren Inhalt dekorativ im gesamten Raum. Ich begann nun zu spekulieren, wohin sich die rote Sauce überall verteilt haben könnte und tastete sehr aufmerksam jede Schranktür, jede Fliese, jedes Tischbein ab. Um sicher zu gehen wienerte ich über alle möglichen und unmöglichen Küchenelemente und war hinterher zum einen "putzmunter" und zum anderen der Meinung, ich hätte die sauberste Küche der Welt. Wie man sich irren kann. Ich wäre im Traum nicht darauf gekommen, dass meine Fensterscheibe einen großen Teil meiner "Flugspeise" abbekommen hatte. Das erfuhr ich Tage später von einem irritierten Augennutzer. Meine Rechtfertigung: Nein, ich habe niemanden abgeschlachtet! Nein, Blinde kochen nicht immer so!

Wo wir doch gerade bei verschmutzten Fensterscheiben angekommen sind, lieber Leser. Eine blinde Bekannte könnte zu diesem Thema eine ebenso frustrierende Geschichte erzählen. Sie lebt in einem Altbau mit wunderschönen, aber sehr hohen Fensterelementen. Beim Fensterputzen musste sie, um alle Ecken zu erwischen, das Fensterbrett besteigen und sich waghalsig verbiegen. Da ein Blinder immer direkten Kontakt zur zu bearbeitenden Fläche aufnehmen muss, nützte ein Putzutensil mit verlängertem Teleskoparm recht wenig. Da die Dame eine der obersten Etagen bewohnt und immer größere Ängste vor dem Sturz aus dem offenen Fenster entwickelte, entschied sie sich für eine bezahlte Haushaltshilfe. Dieser Schritt fiel ihr schwer, da sie sich keine Schwächen eingestehen wollte. Kurz vor einer großen Familienfeier ließ sie noch einmal für nicht wenig Geld alle Fenster reinigen und wähnte sie in glasklarem Glanz. Als die Gäste nun alle bei Kaffee und Kuchen zusammen saßen, vernahm beschriebene Bekannte eine befangene Grundstimmung und peinlich berührtes Tuscheln im Raum. Zu späterer Stunde und nach einigen Gläsern Wein rückte eine Schwester unbeholfen mit der Sprache heraus: "Du…, weißt du…, äh…, das mit deinen Fenstern… Du hast da ganz schlimme Streifen drauf, ist alles ganz verschmiert. Vielleicht denkst du ja mal über einen Fensterputzer nach." Da hatte sich die blinde Frau nun durchgerungen sich bezahlte Hilfe ins Haus zu holen und diese hatte ihre Arbeit sichtlich schlecht gemacht. Wer nun aber im klassischen Sinne "dumm da stand" war die Blinde, da man ihr dieses Malheur unterstellte. Sie selbst hätte wahrscheinlich sehr viel sauberer gearbeitet.

An dieser Stelle entsteht ein typischer Reibungspunkt, den ich oft mit sehenden Helfern erlebe. "Guckis" können es ganz schlecht ertragen, wenn ich ihr Tun noch einmal abschließend überprüfe oder hinterfrage. Ich höre dann immer Aussagen wie: "Du vertraust mir wohl nicht?" oder "Glaub mir doch, es ist alles o.k!" Kontrolle vermittelt Sicherheit und hat nichts mit Misstrauen oder Undankbarkeit zu tun. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Sehender eben auch diverse Dinge "übersehen" kann. Da dies dann meist peinlich für mich endete, frag ich lieber noch mal nach.

Natürlich setzt ein Blinder was die Vorstellung von Reinlichkeit betrifft, häufig sensiblere Prioritäten. Wer nicht sieht, ist darauf angewiesen, seine Umwelt zu erriechen oder zu berühren. Dabei begegnet er Verunreinigungen, die ein Sehender selten registriert. In vielen Treppenhäusern z. B. sind die Handläufe vollkommen verdreckt, obwohl das Haus ansonsten pikobello gewienert ist. Ertaste ich zufällig ein winziges Spinnweben in einer fremden Wohnung, schließe ich ungewollt gleich auf eine unsaubere Haushaltsführung, obwohl die Umgebung in strahlendem Glanz erscheint. Oft säubert ein Sehender auch nur die sichtbaren Bereiche. Greife ich aber versehentlich unter ein Waschbecken oder in einen Regalzwischenraum entdecke ich oft ekelhafte Schmutzspuren.

Ein schönes Beispiel für die Andersartigkeit von "Guckis" und "Blindgängern" ist das gemeine Handtuch. Wenn ich irgendwo zu Besuch bin, schnuppere ich im Bad zunächst immer an den Handtüchern.

Duften diese blütenrein nach Weichspüler, dann trockne ich beruhigt meine Hände daran. In den meisten Fällen ist dies aber nicht so und ich lasse es lieber und trockne mich an mir selber ab. Es gibt in dieser Hinsicht kaum etwas ekelhafteres, als muffiger Handtuchgeruch, den man dann stundenlang an den Fingern trägt. Nun denn, was sauber aussieht, muss also noch lange nicht sauber riechen. Umgekehrt verhält es sich ebenso. Ich hatte mich einmal versehentlich nach dem Abschminken mit einem hellen Handtuch abgetrocknet und es unwissentlich mit schwarzer Schminke verziert. Da es aber frisch und blumig roch, blieb es hängen, bis es die "Guckis" verschmähten… Was würde wohl passieren, wenn man Gerüche sehen könnte?

Es gibt Dinge in der Haushaltsführung, die ein Sehender mit wenig Aufwand überschaut. Beim Staubsaugen z. B. kann er gezielt vorgehen und dem Büschel Hundehaare fix den Garaus machen. Ich selbst benötige am Boden immer noch zusätzlich die Hände, um wirklich sicher zu sein. Systematisches Vorgehen ist auch hier oberstes Gebot. Um auf jene Techniken näher eingehen zu können, werde ich das nächste Kapitel eröffnen. Folgst du mir, lieber Leser?

Such- und Sicherheitsverfahren im häuslichen Umfeld

Wer sehen kann oder einmal sehen konnte, kennt das Bedürfnis, sich durch einen gezielten Blick Sicherheit verschaffen zu wollen. Vor allem in Zweifelsfällen dient der Einsatz der Augen als Schutzmaßnahme und Orientierungshilfe. Häufig genügen dem Augennutzer wenige Sekunden, um spontan eine Gegebenheit überschauen zu können.

Nun stell dir vor, geschätzter Leser, dein häusliches Umfeld versinkt in dichtem Nebel. Du darfst dir ausnahmsweise sogar die Farbe des Nebels aussuchen, auch wenn das einem blinden Menschen nicht möglich ist. Bilde dir also vor deinem geistigen Auge einmal ein, dass deine Wohnung unter einem neongrünen oder weinroten Schleier verborgen liegt. Dieser Schleier ist nicht hör-, tast-, riech- oder gar schmeckbar. Er hängt lediglich als undurchdringlicher Vorhang der Blindheit vor deinen Augen. Nun habe ich schon so manchen "Gucki" sagen hören, dass er seine Wohnung kenne, wie die eigene Westentasche, dass er seine alltäglichen Abläufe quasi im Schlaf, mit geschlossenen Augen beherrsche. Dies ist ein Trugschluss. Es mag sein, dass einige einfache automatisierte Abläufe blind funktionieren, aber notfalls kann vom Sehenden eben doch der prüfende Blick zu Rate gezogen werden.

Welcher Reflex stellt sich z. B. beim "Gucki" ein, wenn ein Gegenstand herunterfällt? Seine erste Reaktion ist der Griff zum Lichtschalter. Jenes Vorgehen hilft in unserer konstruierten Situation jedoch nicht, lieber Leser. Unsere Sicht bleibt vernebelt und jener Nebel lässt sich vom Einschalten des Deckenfluters wenig beeindrucken. Was also tun?

Es gibt spezielle Suchtechniken, welche dabei helfen, Dinge am Boden aufzufinden. Fällt etwas vom Tisch, kann man es, wenn man Glück hat, mit den Ohren verfolgen. Manchmal verliert man jedoch den Hörkontakt zum vermissten Gegenstand und benötigt die Hände. Dies kann unter Umständen sehr unangenehm sein, da die Fingerspitzen dabei häufig unfreiwillig die Verschmutzungen aufnehmen, welche andere Leute unter den Schuhsohlen tragen. Ein Fußboden ist schließlich nicht allerorts so lupenrein wie im eigenen Wohnzimmer.

Außerdem kann es passieren, dass man trotz ausgefeilter Suchtechnik einen Gegenstand nicht findet. Ich erlebe es oft, dass ich am Boden hockend, meist unter Zeitdruck, intensiv nach etwas erfolglos suche, während ein "Gucki" den verloren gegangenen Übeltäter sofort nach dem Betreten des Raumes entdeckt.

Bückt man sich als sehbehinderter oder blinder Sucher nach unten, sollte man dies stets mit geradem Oberkörper tun. Beachtet man dies nicht, läuft man Gefahr, sich den Kopf an einem umherstehenden Gegenstand zu stoßen oder sich gar einen Stuhlknauf ins Auge zu rammen. Eine Seminarteilnehmerin berichtete mir einmal von einer ähnlichen Situation. Sie hatte sich im Dunkeln des Schlafzimmers unkontrolliert gebückt und sich dabei die Zwiebelturmverziehrung des Bettgiebels direkt in die Augenhöhle gestoßen.

Auch bei der Benutzung einer Sitzgelegenheit ist es sicherer, beim Hinsetzen den Oberkörper gerade zu halten. Beugt man sich vorn über kann es passieren, dass man sich an einer auf dem Tisch stehenden Flasche den Kopf aufschlägt oder mit der Frisur in eine brennende Kerze gerät. Und mit der brennenden Kerze sind wir auch sogleich bei meinem Lieblingsthema angelangt, aufmerksamer Leser.

Zur Überraschung Vieler bin ich eine große Kerzenliebhaberin. Ich genieße die Aura, die sie ausstrahlen, die knisternde Wärme, ihren Duft, die Atmosphäre, die um sie herum entsteht. Außerdem liebe ich Aromalampen, Räucherstäbchen und Weihrauchmischungen. Da all diese schönen Dinge nur mit Hilfe des gefürchteten Feuers funktionieren können, musste ich mir einige Sicherheitstechniken ausklügeln.

Grundsätzlich arbeite ich gern mit standfesten Kerzen, welche über einen etwas größeren Durchmesser verfügen. Kompakte Exemplare sind geeigneter als filigrane. Ich platziere die zu entzündende Kerze stets auf einem brandsicheren Untergrund und schließe aus, dass sich in der Nähe des Dochtes etwas Entflammbares wie z. B. mein eigener Ärmel oder ein Trockenstrauß befindet. Anschließend bemühe ich ein Stabfeuerzeug, welches meiner Hand ausreichend Abstand zur Flamme gewährt. Nun versuche ich den Docht der Kerze mit dem Feuerzeug in Kontakt zu bringen, vorerst ohne Feuer, um die Abstände grob zu kalkulieren. Da ich beim eigentlichen Anzünden meinen Finger nicht kontrollierend ins Geschehen einbringen kann, muss ich erahnen, wann sich der Docht entzündet. Wenn ich meine Hand anschließend dicht über die Kerze halte, kann ich erspüren, ob mein Entflammungsversuch erfolgreich war.

Für die gefahrenlose Bewältigung meiner Weihrauchmischungen habe ich mir ein Stövchen besorgt, welches ohne die Benutzung von Kohle funktioniert. Außerdem erwarb ich eine Duftlampe, welche elektrisch betrieben werden kann. Das Dosieren von Aromaölen gestaltet sich jedoch etwas schwierig, da ich die angegebenen Tropfmengen nicht zuverlässig abzählen kann. Als kompliziert erweist sich auch das blinde Anzünden von Räucherstäbchen, da diese sehr dünn sind und sie sich mit dem Feuerzeug schlecht orten lassen. Außerdem habe ich großen Respekt vor glimmenden Elementen.

Es ist für einen blinden Menschen schwer kontrollierbar, wohin sich Glut oder Asche verteilen. Dies gilt auch für den Zigarettengenuss. Eine Möglichkeit wäre, einfach nicht zu rauchen. Wer dennoch nicht darauf verzichten möchte, dem empfehle ich, stets einen Aschenbecher direkt unter die Zigarette zu halten.

Den Umgang mit Streichhölzern lehne ich vollständig ab. Seit sich ein blinder Bekannter von mir auf dramatische Weise selbst entzündete, bin ich in dieser Hinsicht noch vorsichtiger geworden. Ihm war ein brennendes Streichholz abgebrochen und direkt auf den Pyjama gefallen. Der synthetische Stoff fing sofort Feuer. Jener Betroffene erlitt schwerste Verbrennungen. Ein langwieriger Aufenthalt auf der Intensivstation, zahlreiche Hauttransplantationen und aufwändige Salbungen, Kompressionen und Therapien retteten das Leben des unfreiwilligen Pyrotechnikers. Ich empfehle jedem Streichholznutzer, auch den sehenden, das Zündhölzchen immer vom Körper weg zu entfachen.

Wenn ich nicht ganz sicher bin, ob irgendwo in meiner Wohnung noch etwas glimmt, stelle ich das fragwürdige Objekt sicherheitshalber auf den Balkon oder in die Badewanne. Eine empfehlenswerte Option ist auch die Installation von Rauchmeldern. Ich bin froh, keine Ofenheizung betreiben zu müssen. Ein knisternder Ofen kann zwar sehr viel Gemütlichkeit ausstrahlen aber meine Angst vor den züngelnden Flammen ist sehr groß.

Zum Glück birgt das elektrische Licht keine so hohen Risiken. Lässt man es unkontrolliert brennen, riskiert man höchstens eine hohe Stromrechnung, aber eben keinen Flächenbrand. Ich habe es mir nach meiner Erblindung noch immer nicht abgewöhnt, Lichtschalter zu bedienen. Wenn ich einen Raum betrete, schalte ich reflexartig zunächst das Licht ein. Der Druck auf den Schalter suggeriert: "Es werde Licht. Ich kann sehen". Deshalb brennt häufig in meiner gesamten Wohnung die "Festbeleuchtung". Manchmal können Lampen tatsächlich noch einen Effekt in meinen Augen erzielen, oft bin ich jedoch nicht sicher, ob ich nun ein "on" oder ein "off" bewirkte. Ich habe beobachtet, dass meine Psyche sich wohler fühlt, wenn ich den Raum in hellem Licht erstrahlen lasse, auch wenn meine biologischen Voraussetzungen es wahrnehmen zu können minimal sind. Solange auch nur der Hauch eines Sehrestes vorhanden ist, wird Helligkeit ihre Bedeutung behalten.

Ein hochgradig sehbehinderter oder blinder Mensch hängt meist mehr an jenen winzigen Restreizen, als es ein Sehender je könnte. Wer sehen kann, nimmt diese Fähigkeit als selbstverständlich hin und weiß häufig die Bilder, welche ihm die Augen schenken, nicht zu schätzen. Hin und wieder kommt es auch vor, dass ich vergesse, dass es für einen Sehenden Nacht wird. Dann bewege ich mich in gewohnter Routine im lichtlosen Raum und erschrecke ohne Absicht so manch verwunderten "Gucki".

Ein so genannter Lichtfinder kann einem blinden Menschen dabei helfen, im Zweifelsfall Lichtquellen zuverlässig ausfindig zu machen. Bin ich mit Sehenden aktiv, spielt die Beleuchtung meist eine tragende Rolle. "Guckis" sind bekanntermaßen im Dunkeln etwas unfit. Sind die Augennutzer dann aber gegangen, stellt sich mir oft die Frage, ob noch eine Funzel funzelt oder ein Kerzchen brennt. Der Lichtfinder reagiert mit einem schrillen Ton, wenn er das Corpus delic(h)ti entlarvt hat. Je heller der Schein, desto schriller der Ton. Außerdem ist es empfehlenswert, wenn man sich die Stellung der Lichtschalter markiert. Dies ist allerdings nur bei einrastenden Schaltern oder Kippschaltern möglich.

Da ich selbst nicht mehr aus dem Fenster sehen kann, um meine Umwelt zu beobachten, verlor ich zunehmend das Bewusstsein dafür, dass meine Mitmenschen im Gegenzug durchaus in der Lage sind, durch meine Fenster hineinzuschauen. Vor allem dann, wenn es draußen dämmert und drinnen das Licht eingeschaltet ist. Als Reaktion auf diese Erkenntnis setzte sich in mir die Neurose fest, ständig unter Beobachtung zu stehen. Es ist für mich schwer zu durchschauen, wer aus welchem Winkel wohin blicken kann, ob mein Privatleben transparent oder versteckt erscheint. Diese Unsicherheit beobachtete ich in ähnlicher Form auch bei anderen Betroffenen. Ich erinnere mich daran, einer geburtsblinden Bekannten einmal die Bedeutung einer Milchglasscheibe erklärt zu haben. Sie war davon ausgegangen, dass Glas in jedem Falle von einem Sehenden zu durchschauen ist. Manchmal wünsche ich mir eine Ganzkörperjalousie welche mich stets und ständig dahin begleitet, wo ich nicht sicher bin, ob ich gesehen werde.

Jeder Betroffene, der noch in der Lage ist Lichteffekte wahrzunehmen, sollte versuchen, so viel wie möglich mit verschiedenen Beleuchtungsvarianten zu experimentieren. Der Einfluss von direktem, indirektem oder diffusem Streulicht kann sich vollkommen unterschiedlich auswirken. Auch der Blickwinkel, die Tagesverfassung oder der situative Rahmen kann entscheidend sein. Kommen alle günstigen Umstände zusammen, erlebe ich in ganz seltenen Fällen die sprichwörtlichen "lichten" Momente, in denen ich plötzlich einen winzigen optischen Augenblick einfangen kann. Ich genieße jeden Sonnenstrahl, welcher den Weg zu meiner Netzhaut findet, solange dies noch möglich ist, denk an meine Worte, lieber Leser, wenn du morgens deine Augen öffnest, und das grelle Licht verfluchst, was dir so unsanft zu verstehen gibt, dass die Nacht nun zu Ende ist.

Such- und Sicherheitstechniken im häuslichen Umfeld betreffen zu einem nicht unerheblichen Maße auch die "Kleidertruhe". Natürlich gibt es auch im Bereich der Wäsche- und Kleiderpflege spezielle Verfahrensweisen. Ich werde für dich, interessierter Leser, einige prägnante Details herauspicken.

Meine sehenden Seminarteilnehmer sind stets erschrocken und erstaunt zugleich, wenn ich die Begriffe "Nadel" und "Bügeleisen" thematisiere, Dinge, welche zu schmerzhaften Verletzungen führen können, machen Angst. Deshalb ist es an dieser Stelle besonders wichtig, eine sichere Handhabung zu erlernen.

Spezielle Einfädelhilfen ermöglichen es auch einem blinden Menschen, kleinere Näharbeiten vorzunehmen. Als sehr praktisch haben sich so genannte Patentnadeln erwiesen. Sie verfügen über ein Öhr, durch welches der Faden einfach hindurchgedrückt werden kann. Ein Widerhaken verhindert, dass der Faden im Umkehrschluss wieder herausrutscht. Neben den Patentnadeln bietet das Sortiment eine kleine Spannkonstruktion, welche als Fädelhexe bezeichnet wird. Und den handelsüblichen Einfädler aus Großmutters Nähkasten kennen wir ja alle. Natürlich ist der Umgang mit einer spitzen Nadel nicht ganz ungefährlich, vor allem, wenn sie aus Versehen herunterfällt. Ein Magnet kann dabei helfen, die verloren gegangene Nadel wieder zu finden, in dem man ihn systematisch über das zu untersuchende Territorium gleiten lässt.

Beim Nähen selbst steht der Finger in engem Kontakt zur Nadelspitze. Ein kontrolliertes und sensibles Vorgehen ist entscheidend für die Unversehrtheit der Fingerspitzen. Gerade jene empfindsamen Sensoren sind schließlich für einen nicht Sehenden unverzichtbare Informanten. Fingerhüte schränken in erheblichem Maße die Tastfähigkeit ein und stellen nicht die angemessenste Hilfe dar. Ein tastbares Bandmaß ermöglicht es dem blinden Schneiderlein zusätzlich, diverse Bezugspunkte zu präzisieren. Eine blinde Bekannte von mir ist Meisterin im Stricken. Das war sie allerdings schon vor ihrer Erblindung und sie konnte die automatisierten Vorgänge in ihr neues Leben übertragen.

Das Bügeln gehört ebenso nicht zu den unspektakulärsten Handgriffen für blinde Menschen. Empfehlenswert ist der Einsatz eines dünnen Stoffhandschuhes. Dieser bietet zwar Schutz, schränkt aber auch die Tastfähigkeit ein. Feine Falten können somit "übersehen" werden. Für das Bügeleisen selbst gibt es eine Teflonsohle, welche die Hitze durch kleine Löcher abgibt, selbst aber nicht so gefährlich heiß wird. Wer sich als Blinder ans Bügeln wagt, hat dennoch meist zahlreiche Schmerzerfahrungen hinter sich. Abgesehen von der Unfallgefahr, kann man mit einem Bügeleisen versehentlich eine vollkommen ungewollte Faltenlegung oder Entfaltung verursachen, da der Gesamtüberblick über bestimmte Verläufe fehlt. Glücklicherweise gibt es genügend Kleidungsstücke, die nicht gebügelt werden müssen.

Auf welche Weise ein Betroffener seine Wäsche markiert, bleibt letztlich jedem selbst überlassen. Einige kennzeichnen die Wäscheschilder mit tastbaren Hinweisen, andere hängen zusammenpassende Kompositionen bereits zusammen auf den Bügel, wieder andere hinterlassen kleine Punktschriftnotizen in den Taschen. Für Manchen ist ein Farberkenner keine große Hilfe, da er zwar die entsprechenden Nuancen benennt, aber nicht erläutert, welches Braun nicht mit welchem Blau zusammenpasst oder vielleicht doch. Das eigene Gedächtnis ist in jedem Fall entscheidend, da das Auge ja nicht im Zweifelsfall mal eben nachsehen kann.

Das Sortieren der Wäsche, bevor diese in die Maschine gelangt, erfolgt meist mit dem Tastsinn. Damit Socken nicht durcheinander geraten, ist die Benutzung spezieller Sockenklammern ratsam. Sie bündeln die zusammengehörigen Paare.

Teilt man den Wäschetrockenplatz mit der Haus- oder Hofgemeinschaft, sollte man sich die Position der eigenen Wäscheleine genauestens einprägen. Wem die Orientierung an den Wäschestangen zu verwirrend erscheint, oder wer sich von eventuellen Zuschauern beobachtet fühlt, kann sich ja auf den Wäscheständer in der eigenen Wohnung beziehen. Manche blinde Menschen fühlen sich unter Druck gesetzt, wenn sie sich auf dem Präsentierteller "beweisen" müssen. Es gibt diese Schaulustigen, welche sich durchaus fragen, wie eine Blinde ihre Spitzenhöschen aufhängt.

Aber nicht nur die Kleidung will gewaschen sein. Auch das Putzen der Schuhe soll an dieser Stelle Erwähnung finden. Weniger günstig sind stark nachfettende, farbhaltige Schuhcremes, welche zu unkontrollierbaren Verunreinigungen der Umgebung führen können. Ich bevorzuge transparente Pflegeprodukte mit integriertem Reinigungsschwämmchen. Gröbere Verunreinigungen lassen sich im Vorfeld mit einem feuchten Küchentuch entfernen.

Wo wir doch gerade über die Schuhe reden, lieber Leser. Schuhe sind ausgezeichnete Fußangeln, wenn sie ohne ihren Besitzer irgendwo im Wege herumstehen. Und jene Stolperfallen, im Allgemeinen und im ganz Speziellen, sind auch gleich das passende Stichwort zum Einleuten des nächsten Sachverhalts.

Kennst du Situationen wie diese, geschätzter Leser: Du besuchst einen Bekannten und fragst dich bereits im Treppenhaus, ob du deine Treter, in der Wohnung angekommen, wohl eher anbehalten darfst oder ausziehen musst. Trägst du Schnürstiefel, die bis unters Knie gehen, wirst du die erste Variante bevorzugen. Schlecht nur, wenn es draußen geregnet hat und du den weißen Perserteppich deines Gastgebers mit dem Inhalt deiner Reliefsohlen konfrontierst. Also lieber aus die Schuhe. Aber egal ob es nun die Stiefel oder die sommerlich flippfloppigen "Badelatschen" sind, die Frage ist: Wohin mit den Dingern? Lassen meine Gäste ihre Treter unbestimmt im Flur zurück, sind wilde Sturzflüge meinerseits vorprogrammiert. Deshalb ist ein Schuhregal oder ein festgelegter "Stellplatz" ratsam.

Aber die Schuhe sind nicht die einzigen Stolperfallen, die sich in einer Wohnung herumtreiben können. In diesem Zusammenhang empfehle ich noch einige weitere gut gemeinte Ratschläge für mehr Sicherheit im häuslichen Umfeld. Daran sollten sich "Guckis" und "Blindgänger" gleichermaßen halten.

Türen, auch Schranktüren, sollten nach ihrer "Benutzung" stets geschlossen werden. In den Raum ragende Exemplare können dicke Beulen und unschöne Platzwunden verursachen. Geöffnete Hängeschränke in der Küche beißen ausgesprochen gern in den Kopf. Möchte man eine Tür bewusst offen stehen lassen, sollte man sie ganz herumschlagen, so dass sie an der Wand anliegt. Niemals aber sollte man sie halb geöffnet zurücklassen!!! Natürlich ist nicht jeder ein Vorhangliebhaber. Ich jedoch schon. Ersetzt man in geeigneten Räumen (also nicht gerade im Bad) die Türen durch Vorhänge, kann es nicht zu schmerzhaften Zusammenstößen mit Türen kommen.

Der Hilfsmittelmarkt bietet für die rasche Orientierung im Raum eine ebenso unscheinbare wie empfehlenswerte Tasthilfe. Eigentlich handelt es sich hierbei um einen Geheimtipp. Vielleicht kannst du dich noch an deine Schulzeit erinnern, lieber Leser. Einige Lehrer besaßen einen so genannten Teleskopkuli, welchen man, ähnlich wie eine Radioantenne, zu einem dünnen Zeigestab ausfahren konnte. Ich verwende ein solches Exemplar als Taststock, wenn ich einen schnellen Überblick von den Gegebenheiten eines Raumes gewinnen möchte. Wenn ich Ordnung in meinen Seminarräumen schaffe, weiß ich oft nicht, an welchen Stellen meine Gäste ihre Stühle hinterließen und wohin sie die Tische verschoben haben. Der Blindenlangstock wäre zu grob als Tasthelfer im Raum, da er Möbel beschädigen könnte und die feineren Details nicht erkennt. Deshalb hat sich das Kuli-Prinzip bewährt. Im Übrigen kann ich damit auch feststellen, ob auf einem Flur die Fenster geöffnet in den Raum ragen oder ob sie sich vorbildlich zurückhalten.

In meiner eigenen Wohnung verraten mir übrigens die Ohren und der Temperatursinn, ob ein Fenster geöffnet oder geschlossen ist. Auch die geöffnete Balkontür gibt sich nicht selten durch einen eindringenden Windhauch oder die ungedämpften Geräusche von Draußen zu erkennen.

Das Gehör ist für die Orientierung in der eigenen Wohnung unentbehrlich. Ich gerate leicht in Stress, wenn meine sensiblen Ohren einer unumgänglichen Lärmkulisse ausgesetzt sind, z. B. wenn im Haus gehämmert oder gebohrt wird. Somit kann ich keinen Kontakt mehr zu den leisen Klängen herstellen, die mir in meiner räumlichen Umgebung eine so notwendige Hilfe sind. Dazu gehört z. B. das Klacken des automatischen Heizungsreglers, die Sprachausgabe meines Computers oder die stündliche Zeitansage meiner Uhr.

Geräusche im Haus können aber auch hilfreich sein. Ich erkenne oft am Klang des Schlüsselbundes oder an der Gangart der Hausbewohner, wer gerade kommt oder geht. In einigen Fällen ahne ich dann bereits im Vorfeld, dass jemand etwas in den Weg gestellt hat. Das Abstellen von Taschen oder Getränkekästen ist unter Umständen hörbar.

Und da wir gerade mit den Ohren im Treppenhaus unterwegs sind, aufmerksamer Leser, widmen wir uns sogleich einmal dem Eingangsbereich. Klingelschild und Briefkasten sollte sich jeder nicht Sehende seinen Bedürfnissen entsprechend markieren dürfen. Wer häufig blinden Besuch bekommt, kann möglicherweise sein Klingelschild mit Punktschrift versehen. Ich selbst kenne zwar die Positionen der Klingelknöpfe bei den Menschen in meinem engeren Bekanntenkreis, aber man muss sich ja als Blinder ohnehin schon viel zu viel merken und ein kleiner Tasthinweis kann hilfreiche Dienste leisten.

Ich habe meinen Briefkasten mit einem Schriftzug versehen, welcher darauf aufmerksam macht, dass ich aufgrund meiner Blindheit keine "Gucki-Informationen" verwerten kann. Leider wird dies von den Kurieren großzügig ignoriert. Ich habe stets und ständig einen Briefkasten voller Werbeprospekte und Zeitungen, mit denen ich wenig anfangen kann. Das wäre so, als würde ich einem "Gucki" die Postkiste mit Punktschriftpräsentationen zuspammen. Schade ums Papier. Und bei all der Zettelei kann schnell mal ein wirklich wichtiger Brief aus Versehen mit in den Mülleimer rutschen oder unbemerkt davon flattern.

Mein eigenes Schlüsselbund habe ich mit Hilfe verschiedener Karabiner in unterschiedliche Kategorien unterteilt (Wohnung, Garten, Wohnung der Eltern, Arbeit usw.). Ich erkenne die einzelnen Schlüssel an ihrer jeweiligen Form oder Schraffur. Ähneln sich zwei Exemplare zum Verwechseln, werden Sie durch aufgeklebte Kennzeichnungen oder zusätzlich eingefräste Einkerbungen unterscheidbar gemacht.

Das entsprechende Schlüsselloch ertaste ich mit meinen Fingerspitzen. Im Grunde benötigt man als nicht Sehender zum Aufschließen einer Tür zwei freie Hände, denn zunächst muss der Schlüssel, dann das Loch und dann beides in Kombination miteinander erfühlt werden. Ich persönlich bin aber meist zusätzlich beladen mit Blindenstock, Tasche, Beutel, Hundeleine und im Winter meist noch mit Handschuhen und bei Regen mit Schirm. Oft sehne ich mich danach, einmal vollkommen freie Hände zu haben, nichts berühren zu müssen, meine Fingeraugen zu schließen. Aber das einzige was ich jetzt schließe ist die Tür, denn wir sind thematisch wieder in der Wohnung angelangt, geduldiger Leser.

Kommen wir nun zu einigen weiteren, allgemeingültigen Hinweisen, die einem blinden Menschen das Leben in den eigenen vier Wänden erleichtern. Möbelstücke sollten stets strategisch platziert werden. Ein Raum muss Bezugspunkte aufweisen, welche aber keine Unfallquellen darstellen dürfen. Hervorstehendes ist zu vermeiden. Scharfe Kanten und spitze Ecken sollten abgepolstert werden. Manchmal genügt es schon, wenn man eine Decke darüber legt. Stufen und Schwellen müssen gesichert sein. Herausragende Nägel oder lose Elemente können sich fatal auswirken. Glatte Stufen sollten rutschfest überklebt werden. An den entscheidenden Stellen sollten sichere Handläufe angebracht werden.

Natürlich möchte sich niemand einen blinden Heimwerker mit Bohrmaschine und Stichsäge bewaffnet vorstellen. Einfache Handgriffe, wie das Platzieren eines Nagels, sind sicher schon eher denkbar. Kommt man als Blinder in die Verlegenheit, etwas ausmessen zu müssen, kann man auf einen tastbaren Zollstock oder Tastlineale verschiedener Längen zurückgreifen. Ich persönlich habe tausende Ideen für die architektonische Gestaltung meines Wohnumfeldes im Kopf. Auch hier weiß ich meine lieben sehenden Helfer sehr zu schätzen, welche für mich durch die Baumärkte stöbern und meine Wünsche handwerklich umsetzen. Da man als "Blindgänger" am besten einschätzen kann, wo welche Dinge günstig platziert sind, ist es absolut notwendig, dass der Betroffene am Gestaltungsprozess des eigenen häuslichen Umfeldes beteiligt ist.

Kleine orientierende Akzente kann jeder kreative Sehbehinderte selbst setzen. In meinem Reich sind an verschiedenen Stellen Glöckchen angebracht mit deren Hilfe ich zuordnen kann, in welchem Raum sich etwas bewegt.

Eine blinde Freundin von mir beherbergt in ihrer Wohnung verschiedene Windspiele, welche bei Berührung zauberhafte Klänge abgeben. Aufgrund ihrer Vollblindheit ist ihr Hell- und Dunkelrhythmus immens gestört. Um das eigene Bewusstsein für Zeit und Raum zu unterstützen, stellte sie in jedem Zimmer unterschiedliche Uhren mit verschiedenen Glockenspielen auf. Zudem besitzt sie Duftspender, welche in bestimmten Abständen ätherische Essenzen abgeben. Diese märchenhafte Geräuschkulisse und die wohltuende Duftaura vermitteln ein unbeschreibliches Ambiente.

Du erkennst, lieber Leser, die Lösung liegt tatsächlich im Detail. Aufgrund der Komplexität des Themas habe ich versucht, mich auf einige "anschauliche" Beispiele zu beschränken.

Badezimmer und Giftschrank

Lass uns nun, geduldiger Leser, einen Blick ins Badezimmer werfen. Hoffen wir mal, dass mein Badewasser noch nicht übergelaufen ist. Um dies zu verhindern, lässt sich auch für die Badewanne ein akustischer Füllstandsanzeiger nutzen. Aber ich persönlich handle in dieser Hinsicht nach meinem eigenen Gefühl. Schließlich steht ja auch der Sehende nicht permanent kontrollierend neben der Badewanne. Man geht eben hin und wieder mal schauen oder eben Fühlen. Ich höre meist schon am Plätschergeräusch den Füllstand heraus.

Mit fremden Duschvorrichtungen oder Badewannen muss man sich als blinder Nutzer in Ruhe vertraut machen. Vor allem optisch skalierte Thermostate sollten vorher von einem "Gucki" erläutert werden. Rutschfeste Fußmatten oder strategisch platzierte Haltegriffe können hilfreiche Dienste leisten. Auch ein "Gucki" rutscht nicht gern aus, aber er hat die Möglichkeit, sich gezielter abzufangen, da er seine Umgebung überschaut. Ein Blinder würde im Falle einer Rutschpartie jeglichen Kontakt zu seinen elementaren Orientierungspunkten verlieren.

Die Unterscheidung der einzelnen Kosmetikprodukte im Bad kann eine besondere Herausforderung darstellen. Ich richte mich auch hier nach einem speziellen Ordnungssystem und präge mir die Formen der einzelnen Gefäße ein. Notfalls hilft der Geruchssinn. Sind zwei Gefäße identisch, z. B. die Tiegel der Tages- und Nachtcreme, muss ein Markierungspünktchen helfen. Auch die Konsistenzen der Produkte können aufschlussreich sein. Muss es einmal schnell gehen, können einem natürlich Fehlgriffe unterlaufen. Durch das Auftragen eines falschen Kosmetikproduktes verätzte sich einmal eine blinde Freundin die obere Hautschicht ihres Gesichtes. Glücklicherweise waren die Symptome mit einem starken Sonnenbrand zu vergleichen, und nach dem sich das "alte" Gesicht vollständig "abgeschält" hatte, bildete sich ein zartes neues. Und auch ich greife manchmal unwissentlich zur falschen Substanz. Kürzlich platzierte ein Augennutzer seine Tube Rasiercreme direkt dort, wo normalerweise meine Zahnpasta steht. Ob ich wütend war? Geschäumt habe ich! Meine Geschmacksknospen liefen Amok und ich hatte hinterher vermutlich keine Haare mehr auf den Zähnen.

Gut, Zähne rasieren gehört also weder zu den notwendigen, noch zu den geschmacklich empfehlenswerten kosmetischen Eingriffen. Empfehlenswerter ist da schon das Zähneputzen, welches ja ursprünglich auch meine Absicht war. Beim Auftragen der Zahnpasta kann es hilfreich sein, die Creme zunächst auf dem Finger zu positionieren, um die gewünschte Menge besser kalkulieren zu können. Vom Finger wird sie dann auf die Borsten gestreift. Ich selbst bilde meist mit dem Finger an den Borsten entlang eine Art Führungsschiene und drücke, quasi dem Fingerverlauf entsprechend, eine kleine Bahn Paste aus der Tube. Hier erarbeitet sich jeder "Blindgänger" seine ganz eigene Technik. Nach dem Zähneputzen sollten unbedingt noch einmal der Mund, die Handgelenke und die Unterarme abgespült werden. Zahnpasta kann sich nämlich, vom Blinden ungesehen, als weiße Pfefferminzspur unvorteilhaft auf Haut oder gar Kleidung verewigen.

Übrigens sollte sich ein "Blindgänger" zur Sicherheit ohnehin angewöhnen, seinen Mund nach dem Essen zu säubern. Ein "Gucki" erkennt im Spiegel, ob ihn ein Blaubeermund ziert oder ob er noch einen halben Löffel Senf von der hektisch verschlungenen Bockwurst im Bartgeflecht trägt. Ich bin oft überrascht, welche Lebensmittel mir unaufgefordert lustige Farben ins Gesicht zaubern. Jedenfalls erntete ich neulich sehr eigentümliche Reaktionen, als ich nach dem Genuss einer roten Fassbrause wohl um den Mund herum etwas bedenklich aussah.

Benutzt ein blinder Mensch eine Spraydose, sollte er zunächst mit dem Finger die Position des Sprühausgangs ausmachen. Schließlich sollen Haar- und Deospray nicht am Fliesenspiegel oder mitten im Gesicht landen. Auf diverse Handgriffe beim Schminken und Frisieren bin ich ja bereits im Kapitel "Styling ohne Spiegelbild" eingegangen.

Was in meinem Badezimmer noch entscheidend ist, betrifft die Anordnung meiner Handtücher. Aber nahezu jeder "Gucki"-Haushalt wird über einen internen Handtuchplan verfügen. Ich unterscheide die einzelnen Exemplare anhand ihrer Tasteigenschaften und ihrer Position. Falls du, lieber Leser, einmal Besuch von einem blinden Menschen empfängst, informier ihn stets über die Position der zu benutzenden Utensilien im Badezimmer. Gerade im Sanitärbereich ist ein gezielter Zugriff auf alle Erforderlichkeiten unentbehrlich. Es kann für einen Betroffenen sehr unangenehm sein, mit den Händen die gesamte Umgebung nach dem Gesuchten zu inspizieren. Außerdem befinden sich in Bad oft zahlreiche Döschen und Fläschchen, welche man beim hektischen Tasten leicht umstoßen kann.

Und nun, lieber Leser, möchte ich dir ein Hilfsmittelchen vorstellen, welches man nicht auf den ersten Blick als solches erkennt. Diese bittere Erfahrung musste eine gute Bekannte in meiner Wohnung machen. Sie hatte vor, sich heimlich zu wiegen. Natürlich sollte es niemand außer ihr und der Wage registrieren, denn Frauen und ihr Körpergewicht verhalten sich zueinander oft wie Hund und Katze. Jene Bekannte ahnte jedoch nicht, dass meine Personenwaage sprechen kann. Und das auch noch in drei Sprachen. Die streng diskrete Gewichtsangabe tönte lauthals durch meine gesamte Wohnung und machte aus dem wohl gehüteten Geheimnis einen unverblümten Rundruf. Manchmal kommt es mir so vor, als ob die gehass-liebte Waage einen bestimmten Unterton in ihre Ansage legt, so einen nachdrücklich eindringlichen, aber so was kann "Frau" sich auch einbilden. Vor allem dann, wenn sie aufgrund der letzten Schachtel Pralinen ohnehin unter einem schlechten Gewissen leidet.

Kommen wir nun zu einem noch heikleren Thema, geschätzter Leser, nämlich zur verantwortungsvollen Aufbewahrung von Medikamenten. Einige Zeitgenossen bemühen zu diesem Zwecke einen kleinen Apothekerschrank oder ein Separee im Kühlschrank. Natürlich sind zuverlässige Kennzeichnungen hier unentbehrlich. Ich persönlich habe meine Arzneipackungen nach Themengebieten geordnet. Manche erkenne ich an der Form, andere sind bereits mit erhabenen Schriftzeichen markiert. Für Personen, die täglich eine Vielzahl an Tabletten konsumieren müssen, empfiehlt sich eine Art Plastikraster, in welchem man eine gesamte Wochenration verwalten kann. Blinde Menschen die es sich zutrauen, können diese Box selbst bestücken. Wer unsicher ist, sollte sich von einem "Gucki" helfen lassen.

Das Dosieren von Tropfen erweist sich oft als problematisch, denn sie können von einem Blinden schlecht mit den Augen abgezählt werden. Akustische Tropfhilfen haben sich nicht bewährt, da sie sehr unzuverlässig sind bzw. ein hoher Medikamentenverlust durch Fehlversuche zu Stande kommen kann. Zum Schlucken konzipierte Tropfen sollten direkt auf die Zunge geträufelt und dabei abgezählt werden. Für die Benutzung von Ohren-, Augen-, oder Nasentropfen muss man ein Gefühl entwickeln. Natürlich kam es auch bei mir schon vor, dass ich Medikamente verwechselt habe, aber zum Glück gurgelte ich nur mit Magentropfen und rieb mir den Rücken mit Streichkäse ein.

Die eigene Körpertemperatur lässt sich mit Hilfe eines sprechenden Fieberthermometers ermitteln. Der Umgang mit sehbehindertenfreundlichen Blutdruckgeräten und Insulinbestecks muss in Kombination mit den dazugehörigen Handgriffen trainiert werden. Fehlt das Augenlicht, muss mit zusätzlichen medizinischen Auffälligkeiten besonders verantwortungsbewusst umgegangen werden.

Nicht ganz unspektakulär kann sich die Versorgung kleinerer Wunden vollziehen, welche sich gerade blinde Menschen hin und wieder zuziehen können. Da die Verletzung vom Betroffenen nicht gesehen wird, muss er unter Umständen mit den Fingern nachprüfen, was geschehen ist. Dies kann zum einen sehr schmerzhaft sein und zum anderen zu Infektionen führen. Pflaster oder Drainagen punktgenau zu positionieren ist Augensache. Außerdem ist in einer Verletzungssituation der Tastsinn meist stark irritiert, die Finger beginnen zu zittern oder zu schwitzen, verkrampfen oder beginnen zu kribbeln. Das erschwert ein kontrolliertes Agieren. In jedem Fall sollte ein Blinder die Grundsätze der Erstversorgung kleinerer Verletzungen kennen. Im Zweifelsfall ist es immer ratsam, einen Sehenden zu alarmieren. Ich kenne aus meinem blinden Bekanntenkreis das Problem, dass Verletzungen in ihrer Dimension vom Betroffenen unterschätzt wurden und dies kann mit unter fatale Folgen haben.

Natürlich gibt es auch "Mimosen", die übersensibel reagieren und bereits bei einem kleinen Riss in der Haut am liebsten eine Gipsschiene anlegen würden, aber dies ist durchaus nachvollziehbar. Da ein nicht Sehender nicht auf sein Augenlicht ausweichen kann, ist die Konzentration auf einen Schmerzreiz mit unter sehr intensiv. Wenn die optische Kontrolle fehlt, kann die eigene Empfindung nicht mit dem reellen Zustand abgeglichen werden. Hinzu kommt, dass nicht alles, was stark schmerzt, auch schmerzhaft aussehen muss. Im Gegensatz dazu schauen manche Verletzungen bedenklich aus, sind aber kaum spürbar. Eine blinde Rehabilitandin hatte z. B. aufgrund ihres Diabetes, insbesondere in den Füßen, das Tastgefühl verloren. Deshalb hatte sie nicht bemerkt, dass sie in eine Glasscherbe getreten war. Sie hatte den gesamten Teppichboden ihres Zimmers, den Bettbezug und auch ihre Kleidung mit Blut befleckt, ohne es zu registrieren. Der Schreck für die "Guckis" war umso größer.

Die Kommunikationsfertigkeiten

Falls du, geduldiger Leser, im Laufe unseres LPF- Exkurses das Gefühl für Raum und Zeit verloren hast, dann kann ich dir auch in diesem Punkt eine Empfehlung mit auf den Weg geben. Tastbare und sprechende Uhren gibt es in den verschiedensten Ausführungen, als Wecker, als Schlüsselanhänger und als Armbanduhren. Die sprechenden Varianten fallen in so mancher Situation unangenehm auf, denn sie sind nicht nur für ihren Benutzer wahrnehmbar. Während ein "Gucki" mal eben so unauffällig auf die Uhr schielen kann, outet die akustische Zeitansage einer sprechenden Uhr deren Besitzer lautstark. Ich selbst hatte mich auf diese Weise in einer Betriebsversammlung unfreiwillig in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt, als meine Uhr ungeniert ihre Mitteilung durch den gesamten Saal posaunte. Eine Alternative bieten Uhren, deren Zifferblatt fühlbar gestaltet ist. Hier kann der blinde Nutzer vollkommen unbemerkt sogar unter dem Ärmel auf die Uhr "sehen". Allerdings muss der feinfühlige Umgang mit einem solchen Exemplar trainiert werden, damit die Zeiger nicht von den Fingern verstellt werden.

Es ist jedoch nicht nur entscheidend zu wissen, was die Stunde geschlagen hat. Ebenso notwendig wie der Umgang mit der Uhrzeit ist die Handhabung des Kalenders. Der Hilfsmittelmarkt bietet verschiedene tastbare Taschen- oder Wandkalender und entsprechend angepasste elektronische Hilfsmittel ermöglichen darüber hinaus die blindentechnische Verwaltung von Terminen. Also weiß auch ein "Blindgänger", in welchem zeitlichen und räumlichen Rahmen er sich bewegt.

Zusätzlich können sprechende Innen- und Außenthermometer sogar über die aktuelle Temperatur informieren.

Ein sehender Seminarteilnehmer stellte mir einmal irritiert die Frage, woher ich denn wisse, ob Tag oder Nacht sei und ob es mir nicht passiere, dass ich aus Versehen nachts einkaufen ginge. Nein, das passiert natürlich nicht. Die Frage jenes Seminarteilnehmers erschien absurd, ist allerdings nicht ganz unberechtigt. Nicht wenige blinde Menschen leiden unter Schlafstörungen. Durch das fehlende Sehen wird häufig die körperinterne Biologie aus dem Gleichgewicht gebracht. Aber dennoch ist auch ein blinder Mensch Teil der Zeit, des Klimas und der Welt und folgt deren Gesetzen. Mein persönlicher Tagesablauf ist, gerade weil ich blind bin, exakt durchgeplant. Da ich beruflich für die Koordination und Durchführung von Veranstaltungen verantwortlich bin und ich mich in meiner Freizeit gern dem kulturellen Geschehen widme, muss ich mich auf die strikte Einhaltung von Terminen einlassen können.

Teil der Welt zu sein bedeutet also, über so genannte Kommunikationsfertigkeiten zu verfügen. Wesentlicher Bestandteil dieser Fertigkeiten ist die zweckgebundene Nutzung des Telefons. Mit Hilfe des Telefons werden erforderliche Hilfen angefordert und notwendige Informationen eingeholt. Dazu gehört die Ermittlung von Telefonnummern und Adressen, Fahrplanauskünften, das Ordern von Umsteighilfen bei Reisen, die Anforderung von Taxifahrten oder anderen Dienstleistungen, die Erledigung von Bankgeschäften, die Aufgabe von Warenbestellungen und selbstverständlich die Pflege persönlicher Kontakte.

Mit Screanreadern ausgestattete Handys ermöglichen es dem Blinden, über eine Sprachausgabe die Menüs seines Mobiltelefons zu bedienen. Alle auf dem Display befindlichen Schriftzeichen werden angesagt. In einer sehr lauten Umgebung ist die Sprachausgabe allerdings schwer oder gar nicht wahrnehmbar. Leider bringen auch meist die Handy-Modelle die Voraussetzungen für die Installation eines Screanreaders mit, welche zusätzlich noch mit kostspieligen, für den Blinden "unsinnigen" Optionen ausgestattet sind. Obwohl der Blinde eher selten Fotos mit seinem Handy schießt, zahlt er unter anderem diese teure Funktion mit. Ich schreckte bislang davor zurück, 900 Euro für ein akustisch aufgerüstetes Telefon aufzuwenden. Je mehr "Schnickschnack" ein Mobiltelefon bereitstellt, desto verwirrender ist die Navigation für den Blinden. Auch die Tastanordnungen der Bedienoberflächen ist oft alles andere als blindenfreundlich strukturiert. Zu flache oder halbrund angeordnete Tasten mögen zwar für das sehende Auge sehr stylisch wirken, für den Blinden erschweren sie jedoch erheblich die Orientierung. Erhabene, gut unterscheidbare, geradlinig angeordnete Tasten sind hilfreich. Die Erprobung eines speziell entwickelten Blindenhandys, welches alle wesentlichen Funktionen enthielt und über kein Display verfügte, ernüchterte leider die Erwartungen vieler blinder Handynutzer. Ich persönlich erwarb im Laufe der Zeit drei Exemplare, welche jeweils so gravierende Kinderkrankheiten aufwiesen, dass ich mich schweren Herzens davon trennen musste.

Nicht jeder Blinde verfügt über einen Computer oder über die entsprechende Kenntnis zur Nutzung. Wer sich nicht schwarzschriftlich (mit Schwarzschrift ist die vom Sehenden gelesene Schrift gemeint) äußern kann, muss sich einen entsprechenden Dienstleister engagieren, etwa für die Bewältigung von behördlichen Angelegenheiten.

Blinde Menschen müssen lernen, eigene Brücken zu bauen, wenn sie sich ins alltägliche Geschehen einbringen wollen. Auskünfte zu erfragen, Hilfen zu organisieren und Unternehmungen streng durchdacht zu planen sind Kriterien, die zu wesentlichen Lebensbestandteilen werden. Das hat nichts mit Abhängigkeit zu tun, sondern mit Freiheit. Abhängig ist man erst dann, wenn man passiv bleibt und sich fremd bestimmen lässt. Wenn ich mich beispielsweise führen lasse, bestimme ich trotz allem wo mein Ziel ist. Viele Betroffene entwickeln wahre Managerqualitäten, sind sie doch darauf angewiesen, einen unkonventionellen Weg zu gehen. Ihre Bewältigungsstrategien müssen innovativ und kreativ sein, um eben auch in einer unsichtbaren Welt durchzusehen.

Als geschäftsfähiger Blinder trägt man die volle Verantwortung für sein Handeln. Geschäftsfähig zu sein, meint unter anderem auch, Anträge, Verträge und Erklärungen unterzeichnen zu müssen. Das Beherrschen der eigenen Unterschrift gewährleistet Autonomie. Auch hier gibt es entsprechende Techniken und Hilfestellungen. So ist es auch für blinde Menschen unumgänglich hier und da eine Unterschrift zu leisten. Die Benutzung einer Unterschriftenschablone ist ratsam. Sie tritt in Form eines rechteckigen Metallblättchens auf, welches mittig einen Freiraum aufweist. Innerhalb dieses Freiraums kann der Signierende mit dem Stift agieren. Jene Schablonen gibt es in unterschiedlichen Längen. Natürlich muss der Sehende im Vorfeld das Hilfsmittel an der gewünschten Stelle ausrichten. Somit ersparen sich beide Seiten komplizierte Navigationsmanöver auf dem Schriftstück. Ich erlebte häufig, dass mir die Einforderer von Unterschriften anboten, ein Kreuz für mich an die entsprechende Stelle zu zeichnen, an der ich mich verewigen sollte. Nun, dies schien mir nicht die adäquateste Hilfestellung zu sein, denn das Kreuz blieb für meine Augen ebenso unsichtbar wie der gesamte Inhalt des Schriftstückes. Nicht selten werde ich auch mit dem Kuli an die vermeintlich richtige Ausgangsposition geführt. Aber das ist ohne Schablone ein Drahtseilakt. Ich habe dann permanent das Gefühl, in den Text hineinzuschreiben oder vollkommen schief zu geraten. Angaben wie: "Jetzt nach links, nein jetzt wieder einen Millimeter nach rechts, nun weiter runter, und wieder ein bisschen höher" können das Gelingen einer Unterschrift nicht wirklich positiv beeinflussen. Es wird deutlich, dass die Handhabung dieses Vorganges nicht zu unterschätzen ist.

Und nun lieber Leser, folgt die Abrechnung. Bezahlt wird zum Schluss und dort sind wir ja bald angelangt. Also pack schon mal dein Portmonee aus und schließ die Augen. Ganz schön schwierig, die einzelnen Münzen und Scheine zu unterscheiden, oder? Ich erklär dir, wie es geht. Alle Euro-Münzen sind mit taktil differenzierbaren Rändelungen versehen:

Die drei kleinsten Münzen stellen sich am Rand glatt dar, wobei die 2-Cent-Münze eine rundum laufende Einkerbung aufweist. Diese ist mit dem Fingernagel gut erkennbar. Die 5-Cent-Münze und die 1-Cent-Münze besitzen diese Rille nicht, sind aber deutlich in ihrer Größe zu unterscheiden. Die 10-Cent- und die 50-Cent-Münze sind mit einer groben Rändelung ausgestattet, ähnlich wie ein Zahnrad. Auch sie sind aufgrund ihres eindeutigen Größenunterschiedes leicht auseinander zu halten. Die 20-Cent-Münze besitzt sieben gut fühlbare Einkerbungen, im Fachjargon als "Spanische Blume" bezeichnet. Durch diese Eindeutigkeit kann sie nicht mit einer anderen Münze verwechselt werden.

Bei der 1-Euro-Münze ist der fein geriffelte Rand dreimal durch drei glatte Elemente unterbrochen, während bei der 2-Euro-Münze die feine Riffelung des Randes durchgehend gestaltet ist.

Für eine übersichtliche Sortierung des Kleingeldes empfiehlt sich eine "Groschenbox". Sie sieht für jede der acht Münzgrößen ein Fach vor. Ein Spiralmechanismus ermöglicht es dem Benutzer, mehrere Münzen jeder Sorte übereinander zu stapeln. Dieses Ordnungssystem sollte in aller Ruhe zu Hause bestückt werden. Später, beim hektischen Einkauf, kann dann ohne Kramen und Wühlen gezielt auf die gewünschten "Taler" zurückgegriffen werden.

Auch der Umgang mit Scheinen gestaltet sich auf eine besondere Weise. Die Banknoten wachsen, mit zunehmender Betragshöhe, in ihrer Länge und Breite. Der 5-Euro-Schein ist der Kleinste, gefolgt vom Zehner, über den Zwanziger bis zum Fünfziger und schließlich zum Hunderter. Die Breite nimmt allerdings nur bis zum Hunderter zu.

Zur eindeutigen Erkennung lässt sich eine kreditkartengroße Messschablone namens Cashtest nutzen. Der Geldschein wird in die kleine Plastikkarte eingelegt und vorn übergeklappt. Ihrer Dimension entsprechend trifft die Banknote bei der jeweiligen Tastmarkierung auf. Der Betrag kann so abgelesen werden. Außerdem befindet sich auf der Rückseite ein konischer Einschubkanal, mit welchem zusätzlich auch die Münzen geprüft werden können. Ich persönlich besitze eine Geldbörse, welche mit zwei parallel verlaufenden Lederstreifen versehen ist. Diese nutze ich als Messhilfe für Banknoten. Außerdem sortiere ich die Scheine stets vor, wenn ich mit viel Geld aus dem Haus gehe. Verschiedene Fächer helfen beim Separieren. Geübte Blinde nehmen zwischen Mittel- und Zeigefinger eine Breitenmessung vor und wissen mit großer Sicherheit, welchen Nennwert eine Euro-Banknote aufweist. Ich kenne allerdings auch Betroffene, welche sich darauf festgelegt haben, ausschließlich 10-Euro-Scheine zu benutzen. Sie lassen sich keine anderen Banknoten herausgeben und kommen auf diese Weise nicht durcheinander.

Ich beobachte in meinen Seminaren immer wieder, dass sich in der sehenden Welt ein Irrglaube manifestiert hat, der sich nur mühsam korrigieren lässt. Ein Großteil meiner sehenden Gesprächspartner geht davon aus, dass blinde Menschen Geldscheine aufgrund diverser Tastsymbole erkennen. Sogar Punktschriftapplikationen wurden vermutet. Dem ist allerdings nicht so. Auch vor der Euroumstellung erkannten Nichtsehende die Banknoten größtenteils anhand der Länge. Taststrukturen haben sich nicht bewährt, da gerade die gängigen Scheine immens schnell abgegriffen sind. Lediglich bei den höchsten Noten, vorausgesetzt sie sind druckfrisch, wird mit einer Schraffierung gearbeitet. Da der Zweihunderter und der Fünfhunderter die gleiche Breite wie der Hunderter besitzen, befinden sich tastbare Merkmale auf den beiden großen Scheinen. Zunächst ist zu prüfen, ob auf den Schmalseiten schweißtreibende Streifen zu spüren sind, wie das bei allen halbwegs intakten Euro-Scheinen der Fall ist. Gewaschene und sehr häufig benutzte Exemplare können auf diese Weise nicht mehr eindeutig als echt erkannt werden und es ist sicherer, in diesen Fällen die Annahme zu verweigern. Da jene besprochenen Tastmerkmale rückseitig aufgebracht sind, wird die Banknote umgedreht und so in die Hand genommen, dass sich der breitere Glanzstreifen auf der rechten Seite befindet. Wenn man nun unten mit einer Fingerkuppe von der Mitte nach rechts über das Papier gleitet, ist eine Schraffierung zu spüren. Der Fünfhunderter verfügt ebenso über eine tastbare Schraffierung, welche allerdings auf dem glänzenden Streifen der rechten Schmalseite aufgedruckt ist. Ich für meinen Teil bezahle jedoch außergewöhnlich selten mit Riesen. Würde auch eher dekadent wirken, meine Kugel Himbeereis oder die Bodylotion mit einem 500-Euro-Scheinchen zu bezahlen.

Wahrscheinlicher ist es da schon, hin und wieder einmal die Geldkarte zu zücken. Das Eingeben der Geheimzahl und das Betätigen der Bestätigungstaste vollzieht sich blind natürlich nicht so ganz einfach. Die Bedienelemente der Eingabevorrichtungen an den Kassen unterscheiden sich nicht unwesentlich in ihrer Gestaltung. Der Betroffene muss sich zunächst einen groben Überblick verschaffen und sich dann auf dem Ziffernfeld entsprechend eintasten. Manchmal ist der Kippwinkel der Tastfläche so hoch, dass die Hände unnatürlich überdehnt werden. Die meisten Bedienoberflächen sind eben für den fixen sehenden Gebrauch designt.

Was die Benutzung von Geldautomaten betrifft, bin ich etwas unsicher. In verschiedenen Städten existieren sprechende Exemplare, welche aber in vielen Fällen aufgrund ihres hohen "Nervfaktors" gern einmal abgeschaltet werden. Es ist tatsächlich nicht nur für den Sehenden unangenehm, dass er akustisch belästigt wird, sondern auch für den Blinden. Sein Vorgehen bleibt auf diese Weise kein Geheimnis und tönt unverblümt durch die Gegend. Einmal abgesehen davon stellt ein Blinder ein perfektes Opfer für Übergriffe dar. Schaut ihm ein Scharlatan heimlich über die Schulter und folgt seiner Spur, kann man von Glück reden, wenn ihm hinterher nur das Geld und nicht auch das körperliche Wohl abhanden kommt. Andererseits bin ich natürlich glücklich darüber, dass es sprechende Automaten gibt. Etwas weniger indiskrete Varianten von Geldautomaten wurden vollkommen ohne Display und mit Kopfhörerbenutzung konzipiert. Ist ein Vertrauen erweckender Automat gefunden, heißt es noch lange nicht, dass er gut erreichbar ist. Mancher Betroffene pilgert zum Zwecke des Geldabhebens bis zum anderen Stern. Möchte man nicht sprechende Automaten nutzen, fehlt einem die optische Kontrolle über das Geschehen auf dem Display. Manche Tastenfelder sind so sensibel, dass man den Knopfdruck bereits auslöst, wenn man sich orientierend auf dem Ziffernblock bewegt. Zu große Knöpfe machen ein simultanes Erfassen unmöglich. Man verliert sich in Unklarheiten. Kurz und gut, die Benutzung eines Geldautomaten will durchdacht sein und ist nicht in jedem Fall möglich oder empfehlenswert.

Und noch immer sind wir beim lieben Geld. Kannst du dir vorstellen, großzügiger Leser, mit verbundenen Augen ein Überweisungsformular auszufüllen? Auch dafür gibt es Schablonen, deren Benutzung erfordert allerdings eine trainierte Feinmotorik im Bereich der Schreibfertigkeiten. Wer nicht regelmäßig mit dem Stift agiert und winzige Schriftzeichen formt, verliert häufig das Gefühl für eine zuverlässige Federführung. Und selbst wenn er sie hat, fehlt noch immer der prüfende Blick. Gerade bei Geldangelegenheiten will ich mir persönlich keine Verschreiber leisten. Außerdem kann ich ohne sehende Hilfe noch nicht einmal erkennen, ob ich das passende Formular erwischt und es richtig eingelegt habe. Derartige Schablonen haben mir geholfen, als ich sie noch mit meinem Sehrest kombinieren konnte.

Schablonen sind grundsätzlich eine gute Idee, aber sie müssen standardisiert sein, einen angemessenen Aktionsrahmen ermöglichen und unter optimalen Umweltbedingungen zum Einsatz kommen können. Ich bin bspw. sehr dankbar für die Erfindung der Wahlschablonen, schreibt der Kuli jedoch nicht oder hat sich kurzfristig in der Aufstellung der Parteien etwas geändert, ist trotzdem ein Sehender nötig.

Zu den häufig von blinden Menschen genutzten Optionen gehören das Telefon- und das Online-Banking. Allerdings ist nicht jeder firm auf diesem Gebiet. Natürlich ist es anstrebenswert, auch oder gerade bei der Verwaltung des eigenen Geldes so frei wie möglich zu sein. Mir scheint es jedoch unmöglich, sämtliche Finanzbelange vollkommen ohne sehende Hilfe zu bewältigen. Ich fühle mich sicherer, wenn ich weiß, dass ein verantwortungsvoller Vertrauter ein Auge auf bestimmte Dinge wirft. Leider wird auf diesem Gebiet nicht selten Missbrauch betrieben und schnell können sich gute Freunde oder gar Familienmitglieder als skrupellose Unmenschen erweisen. Im Rahmen meiner Beratungstätigkeit begegnete mir eine blinde Frau, welche von ihrer eigenen Mutter finanziell vollkommen ausgebeutet und mit einem hohen Schuldenberg zurückgelassen wurde. Sie hatte die Unterschriften der Blinden gefälscht und deren Ersparnisse verhökert. Ähnlich erging es einem spät erblindeten Jungunternehmer, dessen Frau seine Konten leer geräumt hatte, um sich mit einem neuen Partner ein schönes Leben zu machen. Sie hatte dem Blinden heimlich die Kreditkarten entnommen und sie durch leere Telefonkarten ersetzt. Der Betrogene war im falschen Glauben, die Plastikkärtchen in seinem Portmonee seien die Kreditkarten. Ich bin sehr dankbar dafür, Menschen um mich zu haben, denen solcherlei Gedanken vollkommen fremd sind.

Wie es so schön heißt: Bei Geld hört die Freundschaft auf. Wenn es doch nur ohne ginge. Aber all die vielen kleinen Dinge, von denen ich dir in diesem Kapitel erzählt habe, lieber Leser, kosten viel Geld. die winzigsten Selbstverständlichkeiten, die für einen Sehenden so kostenlos sind wie ein Blick in den Spiegel, können das Portmonee eines blinden Menschen immens belasten. Das zum Ausgleich des behinderungsbedingten Mehraufwandes vorgesehene Blindengeld ist jedoch von Kürzungen und Einsparungen bedroht. Dies betrifft mich als Blinde, aber auch als Sozialpädagogin. Wie soll ich einen erblindeten Menschen motivieren ein aktives Mitglied der Gesellschaft zu sein, wenn er gar nicht erst die Möglichkeit bekommt, sich in sie einzubringen um sie mit zu tragen?

Aber lass uns nicht mit dieser schwermütigen Frage auf den Schultern auseinander gehen, lieber Leser. Ich lad dich noch kurz zu einer Runde "Mensch ärgere dich nicht" ein. Passt ja zum Thema. Speziell modifizierte Spiele ermöglichen auch einem "Blindgänger" die Teilnahme an Gesellschaftsspielen. Die Spielsteine oder Figuren sind taktil unterscheidbar und müssen außerdem auf dem Spielplan fixierbar sein, damit ein Abtasten möglich ist. Auch die Spielpläne verfügen über tastbare Strukturen und sind entweder mit Magneten versehen, oder die beweglichen Elemente können auf den Spielbrettern aufgesteckt werden. Zusätzlich finden sich auf dem Hilfsmittelmarkt sowohl fühlbare, als auch akustische Würfel. Kartenspiele werden meist in den Ecken mit Punktschriftmarkierungen versehen. Tastdominos können auf verschiedenste Weise in unterschiedlichen Größen, Formen und Materialien gestaltet sein. Ich selbst entwerfe gern eigene Spiele für die Sinnesschulungen mit Kindern. Diverse Tast- Duft- oder Geräuschememories sind schnell selbst gemacht. Sensorische Gruppenspiele schaffen auch bei den erwachsenen Teilnehmern ein tiefsinniges Bewusstsein für die eigene Körperlichkeit und animieren das Selbstvertrauen.

Nun lieber Leser, wenn du magst, kannst du noch ein wenig mit mir spielen, und dann nimm dir die Zeit, all die gewonnenen Eindrücke aus unserem LPF-Schnupperkurs in Ruhe zu verarbeiten. Nur das eine noch… Lass mich meine eingangs bemühte Aussage revidieren:

Messer, Gabel Schere, Licht, auch für Blinde, warum nicht?