Ein Märchen aus der Psychiatrie

VON DETLEF FÄRBER

HALLE/MZ 15.06.2018 - Das Thema Inklusion hat auch in Halle ein Gesicht - und eine Botschafterin. Jennifer Sonntag heißt sie und ist auch eine vielbeschäftigte Frau: Moderatorin in der TV-Reihe "Selbstbestimmt", Sozialpädagogin, Seminarleiterin mit großem Aktionsradius und zudem Autorin und Herausgeberin von schon einigen Büchern - meist auch mit Bezug zum Thema Inklusion. Und, ach ja, Jennifer Sonntag ist blind - was ihr Pensum in ihren diversen Jobs und Funktionen noch mal in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt.

Gern und wirkungsvoll mischt sie literarische Formate mit dem, was nun mal seit ihrer allmählichen Erblindung in der Jugendzeit ein zentrales Lebensthema für sie ist: Und sein muss. Oder sie mischt es mit Problemen durch andere Arten von Behinderung oder langwierige Erkrankung - Stichwort Inklusion.

Im Rahmen dieser Beschäftigung und ihres Literatur-Fernstudiums ist nun ein Buch entstanden, dessen Gegenstand immer noch eine Art Tabuthema zu sein scheint. Das Buch ist eine Innenaufnahme der Psychiatrie aus der Warte der Patienten, und nebenbei klingt das etwas überraschende Problem an, dass Behinderte - insbesondere Blinde - es zuweilen auch nicht ganz einfach haben bei der Behandlung in diversen Kliniken.

"Seroquälmärchen" heißt Sonntags Fantasiegeschichte mit realem Hintergrund: Der Titel ist eine leichte Verballhornung des Namens eines Medikaments, das zu den Psychopharmaka gehört und mit dem sich die Heldin des Märchens, genannt Elfenprinzessin, einen Kampf liefert. Der kann hier nicht auf ein Märchen-Happy-End zulaufen, klar - aber immerhin bieten sich tiefe und erstaunliche Einblicke in die Welt des seelischen Leidens: Einer auch reichen Welt von oft sehr kreativen Leuten, die, wie es die Autorin nennt, im "Zauberwald" leben und sich dort - manchmal unwiederbringlich - verlaufen. Dann landen sie im "Schloss", wie im Buch von Jennifer Sonntag die Psychiatrie, doppeldeutig und die Ambivalenz voll erfassend, heißt: Ein ebenso geschützter wie geschlossener Raum.

Insbesondere auch dieser Schutzraum mit seinen notwendigerweise strengen Vorsichtsregeln ist in der leichten, witzigen und angenehm unpathetischen Sprache der Autorin mit viel Einfühlungsvermögen geschildert - doch drängen sich auch Parallelen auf mit den inzwischen oftmals auf verrückte Weise ausufernden Vorsichtsregeln in der überempfindlichen so genannten "normalen Welt draußen". Ein Trost vielleicht für die drinnen?

Jennifer Sonntag, Seroquälmärchen, Edition Outbird, 15 Euro