Der Geschmack von Lippenrot

Schminkschule und Imagekurs – nicht nur für blinde Frauen!

Im März 2019 zur Leipziger Buchmesse wird in der Deutschen Zentralbücherei für Blinde mein neues Buch "Der Geschmack von Lippenrot" erscheinen. Mein Ratgeber möchte blinde und sehbehinderte Frauen dazu anregen, ihre eigene Weiblichkeit und Sinnlichkeit wahrzunehmen und sich mit ihrem äußeren und inneren Spiegelbild auseinanderzusetzen. Wichtig ist mir, das Selbstbewusstsein und die Selbstwahrnehmung meiner Leserinnen zu stärken. Das Buch beinhaltet neben einer Kosmetikkunde auch eine Schminkschule und eine Anleitung in Sachen Stil und Outfit. Dazu habe ich umfangreiches Material aus meinen Vorträgen, Seminaren und Workshops gesammelt, das von Interviews dreier Expertinnen ergänzt wird. Aber auch sehende Frauen werden dazu angeregt, mit Feingefühl ihr inneres Spiegelbild zu entdecken. Wie für mich persönlich ein sinnliches Lippenrot schmeckt und warum ich dieses Buch geschrieben habe, entlockte mir in puncto DZB-Redakteurin Gabi Schulze in einem Telefoninterview. Vielen Dank für die tollen Fragen und die Niederschrift!

Schminken ist ein Ausdruck der Sinnlichkeit

Warum haben Sie aus dem Material Ihrer Vorträge und Workshops ein Buch gemacht?

Ich habe gemerkt, dass wir Menschen, egal ob sehend oder nicht, ob Mann oder Frau, im Grunde erst einmal in unseren inneren Spiegel blicken müssen, um uns selbst und unsere Mitmenschen zu verstehen. Innerhalb meiner sozialpädagogischen Tätigkeit habe ich Materialien für blinde Menschen entwickelt und an verschiedenen Kursen gearbeitet. Das war schon immer ein wichtiges Thema für mich und mir war klar, dass das optische Spiegelbild nicht die einzige Wahrheit ist. Nur wer auch in seinen inneren Spiegel schaut, kann glücklich werden. Man kann nur glücklich werden, wenn man auch in seinen inneren Spiegel schaut.

Aber die Themen ihres Ratgebers befassen sich doch vor allem mit der äußeren Erscheinung: Schminken, Outfit und Stil …

Schminken steht deshalb im Vordergrund, weil ich festgestellt habe, dass es in der sehenden Welt ganz viele Ratgeber gibt. Nahezu täglich entstehen neue Beiträge in den verschiedensten Medien. Doch das letzte Buch "Die Kunst des Schminkens", eigentlich auch das einzige für blinde Frauen, ist vor 50 Jahren von einem erblindeten Model geschrieben und veröffentlicht worden. Übrigens gibt es das Buch in Punktschrift in der DZB. Seitdem ist da nie wieder ein Buch erschienen. Das ist schade, denn die Beauty-Welt dreht sich weiter und für uns blinde Frauen gibt es ganz wenig Ratgeber-Literatur dazu. Und diese wollte ich einfach ein bisschen überarbeiten – auch aus meiner Sicht als Sozialpädagogin. Im LPF-Training gibt es ja verschiedene Techniken, die vermittelt werden können. Wenn blinde Frauen das Bedürfnis haben sich zu schminken, gibt es spezielle Kurse, die sie besuchen können. Meistens werden diese aber nicht so häufig angeboten und finden nicht in der Stadt statt, in der man lebt. Es gibt jetzt auch eine tolle blinde Youtuberin, die kleine Schmink-Videos ins Netz stellt. Ich bin froh, dass sich da etwas entwickelt. Aber es ist bei Weitem nicht so viel wie in der sehenden Welt. Blinde Frauen sind ja auch Frauen. Sie schnuppern gern an Parfümflakons, gehen mit Lippenstift und Puderdose um. Sicherlich nicht alle, aber einige. Und für diese Frauen sollte es einfach mehr Ratgeber-Angebote geben. Das war mein Wunsch mit diesem Buch.

Sie machen in ihrem Buch Schönheit, Sinnlichkeit und Weiblichkeit zu ihrem Thema. Welche Rolle spielen diese Dinge für Sie?

Schönheit und Sinnlichkeit geben mir ganz viel Kraft. Also wenn ich zum Beispiel krank bin, dann tut es mir gut, wenn mich schöne Dinge umgeben. Ich werde schneller gesund, wenn ich einen schönen Duft um mich habe, ein schönes Schmuckstück, einen roten Lippenstift. Zur Sinnlichkeit und Schönheit gehört für mich aber auch eine gewählte Sprache, also, wie rede ich mit dem anderen, wie begegne ich dem anderen auch akustisch, welche Worte benutze ich. Jeder kann sich ganz bewusst schöne Momente im Alltag schaffen. Das Leben ist manchmal anstrengend genug. Ich habe festgestellt, dass ich die Unannehmlichkeiten des Alltags besser beim Kragen packen kann, wenn ich mich mit etwas Schönem befasse.

Warum sollten blinde Menschen sich mit ihrem äußeren Erscheinungsbild auseinandersetzen?

Das Buch ist eigentlich für die Menschen, die ihre innere Schönheit schon gefunden haben, die Freude an Mode, Stil an ihrer optischen Wirkung haben. Ich persönlich habe die Freude daran nie verloren, weil mir das Spaß macht, mich mit Formen, mit Farben, Ästhetik zu befassen. Ich möchte mich nicht für Sehende schön machen. Es geht mir vor allem um die Wertschätzung sich selbst gegenüber, sich zu pflegen, schön zu duften, eine schöne Haut und gepflegte Haare zu haben. Für mich ist diese Selbstwertschätzung, diese Selbstliebe immer oberstes Gebot, erst danach mache ich mich auch für andere Leute schön. Das beides spielt natürlich zusammen. Aber viele Image-Ratgeber für Sehende gehen nur von diesem oberflächlichen Aspekt aus. Auch wenn ich in meinem Buch sehr viel über die äußere Erscheinung und die Beauty-Welt schreibe, möchte ich betonen, dass Lippenstift und Wimpernspirale nur dann wahrhaftig wirken, wenn wir uns auch mit unserem inneren Spiegelbild befassen.

Nun könnte es ja sowohl sehende wie auch blinde Frauen geben, die Schminktöpfchen und Lippenstift mit einer negativen Note belegen, wegen des typisch weiblichen Rollenklischees. Was können Sie dieser Sichtweise entgegensetzen?

Ich möchte denen gar nichts entgegensetzen. Für mich ist ganz wichtig, dass sich jeder stimmig fühlt, in seinem Körper und in seiner Haut. Wenn blinde Frauen sich nicht schminken möchten, dann ist das auch völlig in Ordnung. Ich finde nur, blinde Frauen sollen die Möglichkeit bekommen, Einblick in die Kosmetik- und Beauty-Welt zu erhalten. Sie können sich ja nicht so wie sehende Frauen, überall umschauen, beispielsweise im Fernsehen Prominente in neuen Kleidern bewundern, in Schaufenstern tolle Kleidung sehen oder auch Make-up-Tipps in Zeitschriften und Büchern lesen. Da gibt es ein gewisses Defizit. Und manchmal kommt dann die Aussage: "Na, wenn ich es nicht sehe, dann mache ich es eben nicht." So wie der Fuchs, der nicht an die Trauben kommt. Und das finde ich schade für diejenigen, die gar nicht die Wahl hatten zu sagen: Nein, ich schminke mich nicht. Deshalb habe ich in meinem Buch auch Vieles konkret beschrieben, so dass es sich blinde Frauen gut vorstellen können. Sehende Make-up-Artisten und Stilberater denken oft in der Welt der Sehenden und beschreiben deshalb ganz anders oder gar nicht.

Frau Sonntag am Schluss noch eine Frage, die sich an eine Ihrer Sonntagsfragen anlehnt: Wie schmeckt für sie Lippenrot, das sie mögen?

Ein Lippenrot, das ich mag, riecht ein bisschen nach Theaterkulisse. Ich mag Lippenstifte, die etwas Pudriges haben, die auch etwas nach Vergangenheit schmecken. So wie die Frauen, die sich früher zurechtgemacht haben. Damals hatte das Schminken ja etwas mehr Charisma. Lippenstift muss für mich schon einen gewissen Zauber haben, so ganz geruch- oder geschmackslos darf er nicht sein.

Vielen Dank, Frau Sonntag!